05 - Denn bitter ist der Tod
Bissen hinunter. Es ist verschwendet«, und dabei ließ sie Justine, die ihr weiches Ei aufklopfte, nicht aus den Augen. »Sind Sie heute morgen gelaufen?« fragte sie, und als Justine nicht antwortete, fügte sie hinzu: »Sie werden sicher bald wieder anfangen wollen. Es ist ja wichtig für eine Frau, auf die Figur zu achten. Sie haben bestimmt nicht einen einzigen Schwangerschaftsstreifen am ganzen Körper.«
Justine starrte auf ihren Eierlöffel. Alle Ermahnungen ihrer Kindheit und Jugend fielen ihr ein, aber nach dem vergangenen Abend bildeten sie nur eine unzulängliche Barriere, die leicht zu überwinden war. »Elena war schwanger«, sagte sie und sah auf. »In der achten Woche.«
Anthonys Gesicht verfiel. Glyns zeigte ein seltsames, befriedigtes Lächeln.
»Der Mann von Scotland Yard war gestern nachmittag hier«, erklärte Justine. »Er hat es mir gesagt.«
»Schwanger?« wiederholte Anthony tonlos.
»Das hat sich bei der Obduktion gezeigt.«
»Aber wer... wie...?« Anthony fiel der Teelöffel aus der Hand.
»Wie?« Glyn lachte schrill. »Nun, wie Kinder eben im allgemeinen gemacht werden, vermute ich.« Sie nickte Justine zu. »Das muß ein Triumph für Sie sein, meine Liebe.«
Anthony drehte den Kopf mit einer schwerfälligen Bewegung, als müßte er gegen ein gewaltiges Gewicht kämpfen. »Was soll das heißen?«
»Ja, glaubst du denn, sie kostet diesen Moment nicht aus? Frag sie doch mal, ob sie es schon vorher wußte. Frag sie, ob diese Neuigkeit sie überhaupt überrascht hat. Und dann frag sie auch gleich, ob sie deine Tochter nicht dazu ermuntert hat, sich einen Mann zu nehmen, wann immer sie Lust dazu hatte.« Glyn beugte sich vor. »Elena hat mir nämlich alles erzählt, Justine. Über Ihre mütterlichen Gespräche mit ihr und Ihre guten Ratschläge.«
Anthony sagte: »Du hast sie ermuntert, Justine? Du hast es gewußt?«
»Das ist nicht wahr«, entgegnete Justine.
»Glaub nur ja nicht, sie hätte sich nicht gewünscht, daß Elena schwanger wird, Anthony. Sie hatte doch nur einen Wunsch: sie von dir wegzutreiben! Und dafür hätte sie jeden Preis bezahlt. Weil sie dann bekommen hätte, was sie wollte. Dich. Allein. Ohne jede Ablenkung.«
»Nein«, sagte Justine.
»Sie hat Elena gehaßt. Sie hat ihren Tod gewünscht. Es würde mich überhaupt nicht wundern, wenn sie Elena getötet haben sollte.«
Und einen Moment lang - ganz flüchtig nur - sah Justine den Zweifel in seinem Gesicht. Sie sah, was in seinem Hirn ablief: Sie war allein im Haus gewesen, als der Anruf am Schreibtelefon gekommen war; sie war am Morgen allein gelaufen; sie hatte den Hund nicht mitgenommen; sie hätte seine Tochter schlagen und erdrosseln können.
»Mein Gott, Anthony«, sagte sie.
»Du hast es gewußt.«
»Daß sie einen Liebhaber hatte, ja. Aber das ist alles. Und ich habe mit ihr gesprochen. Ja. Über - über Hygiene. Und daß sie aufpassen soll, damit sie nicht...«
»Wer war es?«
»Anthony!«
»Verdammt noch mal, wer war es?«
»Sie weiß es«, sagte Glyn. »Das sieht man doch.«
»Wie lange?« fragte Anthony. »Wie lange ist das gegangen? Haben sie sich hier getroffen, Justine? Hier im Haus? Hast du das zugelassen?«
Justine sprang auf. Sie fühlte sich völlig leer.
»Antworte mir, Justine.« Anthonys Stimme wurde lauter. »Wer hat meiner Tochter das angetan?«
Justine rang um Worte. »Sie hat es sich selbst angetan.«
»O ja«, sagte Glyn mit wissendem Blick, und ihre Augen glänzten. »Spielen wir Stunde der Wahrheit.«
»Sie sind wirklich eine Schlange!«
Anthony stand auf. »Ich will es wissen, Justine.«
»Dann fahr in die Trinity Lane.«
»In die Trinity...« Abrupt wandte er sich von ihr ab. »Nein!« Er rannte aus dem Zimmer, stürzte ohne Mantel aus dem Haus. Der Wind bauschte die Ärmel seines gestreiften Hemds. Er sprang in seinen Wagen, der in der Einfahrt stand.
Glyn nahm sich ein Ei. »Es ist nicht ganz nach Plan gegangen, hm?« sagte sie zu Justine.
Adam Jenn studierte seine Aufzeichnungen über den Bauernaufstand von 1381. Was war die innere Ursache, was der äußere Anlaß des Aufstands gewesen? Er las ein paar Sätze über John Ball und Wat Tyler, über die Gesetze für die Arbeiter und über den König. Richard II., guten Willens, aber unfähig, hatten die Gaben und das Rückgrat gefehlt, die ein Führer brauchte. Er hatte es allen recht machen wollen und hatte nur geschafft, sich selbst zu zerstören. Er war der historische Beweis für die Behauptung, daß Erfolg
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