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05 - Denn bitter ist der Tod

05 - Denn bitter ist der Tod

Titel: 05 - Denn bitter ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Sicherheit verloren.
    Wohin, fragte sie sich. Lieber Gott, wohin?
    Die Menge der Studenten teilte sich, als ein Mann sagte: »Würden Sie bitte Platz machen?« Und dann: »Havers, rufen Sie jetzt in London an.« Der blonde Mann, den sie in der Queen's Lane gesehen hatte, drängte sich durch die tuschelnde Gruppe vor der Tür, während seine Begleiterin in Richtung zum Aufenthaltsraum der Studenten davonging.
    »Der Pförtner hat gesagt, es war eine Flinte«, rief jemand, als der blonde Mann die Stufe zur Eingangstür hinaufstieg. Der Mann warf dem Pförtner einen unwilligen Blick zu, aber er sagte nichts, als er an ihm vorüberkam, sondern ging sogleich die Treppe hinauf.
    »Ja, es soll ihr den ganzen Körper zerfetzt haben«, rief ein pickliger junger Mann.
    »Nein, das Gesicht«, widersprach jemand.
    »Zuerst ist sie vergewaltigt worden...«
    »Gefesselt... «
    Melinda machte kehrt und rannte los. Blind drängte sie sich durch die Menge. Wenn sie schnell genug machte, wenn sie nicht lange überlegte, wohin sie sich wenden sollte und wie sie dorthin gelangen würde, wenn sie nur schnell in ihr Zimmer hinaufrannte, ihren Rucksack packte, das Geld einsteckte, das ihre Mutter ihr zum Geburtstag geschickt hatte...
    Sie rannte an dem Gebäude entlang zum Eingang auf der rechten Seite des Südturms. Sie stieß die Tür auf und flog die Treppe hinauf. Auf dem Flur im zweiten Stock rief jemand ihren Namen, aber sie achtete nicht darauf und lief weiter. Großmutters Haus in West Sussex, dachte sie. Colchester, wo ein Großonkel von ihr lebte, Kent, wo ihr Bruder lebte. Aber nichts erschien ihr sicher genug, weit genug weg. Keiner von ihnen schien ihr fähig, sie vor einem Mörder zu schützen, der Pläne und Handlungen schon zu kennen schien, ehe sie ausgeführt wurden, der vielleicht jetzt schon auf sie wartete...
    Im obersten Stockwerk blieb sie vor ihrer Zimmertür stehen. Sie hatte Angst vor dem, was vielleicht dahinter lauerte. Ihr war übel. Sie lauschte am schmutzigweißen Holz der Türfüllung und hörte nichts als ihren eigenen keuchenden Atem. Sie wollte fliehen, sich verstecken. Aber ohne Geld, das im Zimmer lag, konnte sie gar nichts tun.
    »Lieber Gott, lieber Gott«, flüsterte sie.
    Sie würde ganz leise den Türknauf drehen. Dann würde sie die Tür mit einem Ruck aufstoßen. Und wenn der Mörder drinnen war, würde sie schreien wie am Spieß.
    Sie sog Luft ein, um ordentlich losbrüllen zu können, und stieß mit der Schulter die Tür auf, die krachend an die Wand flog. Melinda hatte freien Blick ins ganze Zimmer. Auf dem Bett lag Rosalyn.
    Melinda fing an zu schreien.

    Glyn Weaver stellte sich links neben das Fenster im Zimmer ihrer Tochter und hob den leichten Voilevorhang, um ungehindert in den Vorgarten hinuntersehen zu können. Kläffend und schwanzwedelnd sprang dort der Irish Setter um Justine herum, die im Trainingsanzug Gymnastikübungen machte, um sich aufzuwärmen. Der Hund schnappte sich die Leine, die neben ihr im Gras lag, und trug sie stolz wie eine Kriegsbeute durch den Garten.
    Elena hatte ihr Dutzende von Fotos von dem Hund geschickt: ein kleines Wollknäuel, das zufrieden schlafend in ihrem Schoß lag; ein hochbeiniger Welpe, der unter dem Weihnachtsbaum im Haus ihres Vaters die Geschenke beschnupperte; ein geschmeidiger, fast ausgewachsener junger Hund, der in großem Sprung über eine Steinmauer setzte. Auf die Rückseite jedes Fotos hatte sie Townees Alter geschrieben - sechs Wochen zwei Tage; vier Monate acht Tage; genau zehn Monate; wie eine in ihr Kind vernarrte Mutter. Glyn fragte sich, ob sie auf das Kind, das sie erwartet hatte, auch so reagiert hätte oder ob sie sich für einen Abbruch entschieden hätte. Ein Kind war schließlich etwas ganz anderes als ein Hund. Gleich aus welchen Gründen Elena sich für diese Schwangerschaft entschieden hatte - und Glyn hatte ihre Tochter gut genug gekannt, um zu wissen, daß sie diese Schwangerschaft höchstwahrscheinlich genau geplant hatte -, sie war gewiß nicht so töricht gewesen zu glauben, ein Kind werde ihr Leben nicht ändern.
    Und wofür? Für nicht mehr als die vage Hoffnung, daß dieses bezaubernde Geschöpf - dieses Individuum, über das man absolut keine Kontrolle besaß - nicht die gleichen Fehler machen würde wie man selbst, nicht die alten Muster wiederholen und nicht den Schmerz erleben würde, den die Eltern durchgemacht und einander beigebracht hatten.
    Unten band sich Justine jetzt das Haar zurück. Glyn vermerkte,

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