05 - Denn bitter ist der Tod
daß sie dazu ein Tuch nahm, das farblich auf ihren Trainingsanzug und ihre Schuhe abgestimmt war. Ohne sonderliches Interesse fragte sie sich, ob Justine das Haus je anders als perfekt gekleidet verließ, und lachte bei ihrem Anblick leise vor sich hin. Selbst wenn man daran Anstoß nehmen wollte, daß Justine gerade zwei Tage nach dem Tod ihrer Stieftochter wieder zu joggen anfing, konnte man an der Farbwahl nichts aussetzen. Sie war absolut passend.
Was für eine Heuchlerin, dachte Glyn und verzog verächtlich den Mund. Sie wandte sich vom Fenster ab. Sie wollte diese Frau nicht mehr sehen.
Justine war ohne ein Wort aus dem Haus gegangen, kühl, elegant und hochmütig wie immer. Aber nicht mehr so beherrscht, wie sie sicher gern gewesen wäre. Dafür hatte die Konfrontation am Frühstückstisch gesorgt. Da war die wahre Frau hinter der Maske der pflichtbewußten Gastgeberin und perfekten Ehefrau des Universitätsprofessors zum Vorschein gekommen. Und jetzt wollte sie laufen, um diesen schönen, verführerischen Körper in Form zu halten.
Aber das war es nicht allein. Sie mußte jetzt laufen. Sie mußte sich verstecken. Denn heute morgen hatte sich die wahre Justine Weaver gezeigt. Endlich war die Wahrheit ans Licht gekommen.
Sie hatte Elena gehaßt. Und jetzt, da sie aus dem Haus war, wollte Glyn die Beweise suchen, daß sich hinter der Fassade hochmütiger Beherrschung eine Mörderin verbarg, die vor nichts zurückschreckte.
Von draußen hörte sie das Bellen des Hundes. Aufgeregt und freudig, entfernte es sich rasch die Adams Road hinunter. Bis zu Justines Rückkehr wollte Glyn jede Minute nutzen.
Sie eilte in das Schlafzimmer des Paares, ging direkt zur langen, niedrigen Kommode und öffnete die erste Schublade.
»Georgina Higgins-Hart.« Mit zusammengekniffenen Augen konsultierte der Constable mit dem Wieselgesicht sein Notizbuch, auf dessen Umschlag ein Fleck prangte, der verdächtig nach Tomatensoße aussah. »Mitglied bei Hare and Hounds. Bereitet sich auf den Magister in Renaissanceliteratur vor. Aus Newcastle.« Er klappte das Heft zu. »Der Rektor hat sie sofort identifiziert, Inspector. Er kennt sie, seit sie vor drei Jahren nach Cambridge gekommen ist.«
Der Constable stand vor der geschlossenen Tür zum Zimmer des Mädchens. Er stand wie ein Wachposten, die Beine gespreizt, die Arme verschränkt, und sein Gesichtsausdruck - der zwischen Selbstzufriedenheit und spöttischer Geringschätzung schwankte - verriet, in welchem Maß er der Untüchtigkeit des Yard die Schuld an diesem Mord gab.
Lynley sagte nur: »Haben Sie den Schlüssel, Constable?« und nahm ihn aus der Hand des Mannes entgegen.
Georgina war eine Woody-Allen-Verehrerin gewesen. Poster mit Szenen aus seinen Filmen hingen an den Wänden. Auf den Borden des Bücherregals drängten sich kunterbunt die Besitztümer des Mädchens, alle möglichen Dinge von einer Sammlung alter Puppen bis zu einem recht umfangreichen Weinsortiment. Die wenigen Bücher, die sie besessen hatte, standen auf dem Sims des zugemauerten Kamins.
Lynley setzte sich auf das schmale Bett mit der pinkfarbenen Tagesdecke. Zwei Morde, die schon auf den ersten Blick auffallende Parallelen hatten: wieder eine Langstreckenläuferin, die dem Universitätsclub angehört hatte; wieder eine junge Frau, die groß und schlank und langhaarig war; wieder ein Studentin, die am frühen Morgen - in noch nächtlicher Dunkelheit - ihr Lauftraining absolviert hatte. Soweit die äußeren Ähnlichkeiten. Aber wenn die Morde tatsächlich miteinander verknüpft waren, mußte es noch andere Parallelen geben.
Und natürlich gab es die. Die auffälligste war, daß Georgina Higgins-Hart wie Elena Weaver an der englischen Fakultät eingeschrieben war. Sie war bereits im vierten Studienjahr gewesen, kurz vor der Magisterprüfung, selbstverständlich hatte sie die meisten Professoren und Dozenten gekannt.
Lynley wußte, was Havers sagen würde, wenn sie das hörte, und er konnte selbst die Verbindung nicht ignorieren, die sich da ergab.
Er konnte aber auch nicht ignorieren, daß Georgina Higgins-Hart dem Queen's College angehörte und sich somit eine weitere Verbindung in anderer Richtung anbot.
Abrupt stand er auf und ging zum Schreibtisch, der in einem Alkoven beim Fenster stand. Er las gerade die Einleitung zu einer Arbeit über Das Wintermärchen, als Barbara Havers hereinkam.
»Nun?« fragte sie.
»Georgina Higgins-Hart«, antwortete er. »Literatur der Renaissance.« Er spürte
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