05 - Denn bitter ist der Tod
Beim ersten Mord war es ein persönliches Motiv, darum wurde eine, sagen wir mal ›persönliche‹ Methode gewählt.«
»Handgreiflich, meinen Sie? Erst schlagen, dann erdrosseln?«
»Ja, so könnte man sagen. Der zweite Mord war nicht von persönlichen Motiven bestimmt. Da ging es nur darum, eine mögliche Zeugin zu beseitigen. Zur Ausführung dieses Mordes genügte ein Gewehr. Wobei die Täterin allerdings nicht wußte, daß sie das falsche Mädchen getötet hatte.«
»Schrecklich!«
»Ja.« Sie spießte mit der Gabel eine Kirsche von ihrem Törtchen und fand, sie habe eine ekelhafte Ähnlichkeit mit einem Blutklumpen. Angewidert legte sie die Gabel nieder. »Aber wenigstens haben wir jetzt einen Hinweis auf die Täterin. Der Inspector ist zu -« Sie brach ab, als sie Lynley durch die Schwingtür kommen sah, seinen Mantel über der Schulter, mit flatterndem Schal. In der Hand trug er einen großen braunen Umschlag. Helen Clyde und eine zweite Frau - vermutlich ihre Schwester - folgten ihm.
»St. James«, sagte er anstelle eines Grußes zu seinem Freund, »ich stehe wieder mal in deiner Schuld. Vielen Dank, daß du gekommen bist. Pen kennst du ja.« Er warf seinen Mantel über eine Stuhllehne, während St. James Penelope begrüßte und Helen einen leichten Kuß auf die Wange gab. Dann machte er Barbara mit Helens Schwester bekannt, und St. James zog noch zwei Stühle an den Tisch.
Barbara war perplex. Sie hatte, nachdem Lynley zu den Weavers gefahren war, eine Verhaftung erwartet, aber die hatte es offensichtlich nicht gegeben. Irgend etwas hatte ihn in eine ganz andere Richtung geführt.
»Sie haben sie nicht mitgebracht?« fragte sie.
»Nein. Sehen Sie sich das an, Barbara.«
Aus dem Umschlag nahm er einen dünnen Stapel Fotografien und berichtete ihnen von dem großen Ölgemälde und den Bleistiftzeichnungen, die Glyn Weaver ihm gegeben hatte. »Das Gemälde ist völlig ruiniert«, sagte er. »Mit Farbe zugeschmiert und die Leinwand mit einem Messer zerschnitten. Weavers geschiedene Frau vermutet, daß es ein Gemälde von Elena war und daß Justine Weaver es zerstört hat.«
»Aber sie irrt sich, nehme ich an?« fragte Barbara und griff nach den Fotografien. Jede zeigte einen anderen Teil des Ölgemäldes. Es waren merkwürdige Aufnahmen, manche von ihnen sahen aus wie doppelt belichtet. Sie zeigten mehrere Porträts einer weiblichen Person von der Kindheit bis zum jungen Erwachsenenalter. »Was sind das für Aufnahmen?« fragte Barbara, die jede Fotografie nach der Besichtigung an St. James weitergab.
»Infrarot und Röntgenaufnahmen«, antwortete Lynley.
»Pen kann es Ihnen näher erklären. Wir haben sie im Museum gemacht.«
»Sie zeigen, was sich ursprünglich auf der Leinwand befand«, sagte Pen. »Ehe sie mit Farbe verschmiert wurde.«
Es waren mindestens fünf Porträtstudien, von denen eine mehr als doppelt so groß war wie die anderen. Barbara sah sie sich alle kopfschüttelnd an. »Ein komisches Gemälde, finden Sie nicht?«
»Nein, gar nicht, man muß die Fotos nur richtig zusammensetzen«, sagte Pen. »Warten Sie. Ich zeige es Ihnen.«
Lynley machte den Tisch frei, indem er Teekanne und Geschirr einfach auf den Nachbartisch verfrachtete. »Wir konnten das Gemälde wegen seiner Größe nur in Teilen fotografieren«, erklärte er Barbara.
»Und wenn man die einzelnen Teile zusammensetzt«, fuhr Pen fort, »sieht das Ganze so aus.« Sie legte die Fotografien auf dem Tisch aus, so daß sie ein unvollständiges Rechteck bildeten, an dessen rechter unterer Ecke ein Blatt fehlte, und Barbara sah einen Halbkreis aus vier Porträtstudien eines heranwachsenden Mädchens - Säugling, Kleinkind, Kind, junges Mädchen -, der das fünfte, wesentlich größere Porträt der jungen Erwachsenen umschloß.
»Wenn das nicht Elena Weaver ist«, begann Barbara.
»O ja, das ist schon Elena«, bestätigte Lynley. »In der Hinsicht hatte ihre Mutter recht. Aber alle anderen Schlüsse, die sie gezogen hat, sind falsch. Sie sah die Skizzen und das Gemälde in Weavers Arbeitszimmer. Sie wußte, daß er malt, und glaubte, das Gemälde sei von ihm. Aber dieses Gemälde ist nicht von einem Dilettanten gemalt. Das ist ein Kunstwerk.«
Er zog noch eine Fotografie aus dem Umschlag. Barbara streckte die Hand aus und legte sie an die freie Stelle am rechten unteren Bildrand. Es war die Signatur. Wie die Künstlerin selbst hatte sie nichts Spektakuläres. Nur das Wort »Gordon« in dünnen schwarzen Strichen.
»Und
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