05 - Denn bitter ist der Tod
Sarah sie vernichten würde.
Auf ihrem Bett jetzt, im trüben Licht des Nachmittags, umklammerte Sarah ihre Decke und versuchte, das Zittern zu beherrschen. Es war nicht anders möglich, dachte sie. Es war nicht anders möglich, ihn zu zwingen, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen.
Aber sie selbst würde den Rest ihres Lebens mit dem Grauen leben müssen. Sie hatte Elena gern gehabt.
Vor acht Monaten hatte sie den Schmerz abgeschüttelt und sich in einen Zustand der Betäubung zurückgezogen, in dem nichts sie berühren konnte. So daß sie, als sie den Wagen in der Einfahrt hörte, dann Flames Bellen, dann die nahenden Schritte, überhaupt nichts gefühlt hatte.
»Gut, ich geb zu, daß dieser Stößel die Waffe sein könnte«, sagte Barbara und blickte dem Polizeifahrzeug nach, das eben abfuhr, um Helen und ihre Schwester nach Hause zu bringen. »Aber wir wissen, daß Elena gegen halb sieben tot war, Inspector. Das besagt zumindest Rosalyn Simpsons Aussage. Ich weiß zwar nicht, wie Sie's sehen, aber ich denke, sie ist zuverlässig. Und wenn Sarah Gordon - deren Aussage von zwei Nachbarn bestätigt wird, wohlgemerkt! - erst kurz vor sieben von zu Hause weggefahren ist...« Sie drehte sich in ihrem Sitz herum und sah Lynley ins Gesicht. »Sagen Sie's mir. Wie kann sie an zwei Orten zu gleicher Zeit gewesen sein - zu Hause in Grantchester und gleichzeitig auf Crusoe's Island?«
Lynley lenkte den Bentley vom Parkplatz auf die Straße hinaus. »Sie nehmen an, daß Sarah Gordon an diesem Morgen das erste Mal aus dem Haus ging, als die Nachbarn sie um sieben wegfahren sahen«, sagte er. »Das entsprach genau ihrer Absicht. Aber sie hat uns selbst erzählt, daß sie an diesem Morgen schon kurz nach fünf auf war - sie mußte uns da die Wahrheit sagen, denn es hätte ja sein können, daß einer der Nachbarn, die sie um sieben wegfahren sahen, viel früher schon das Licht in ihrem Haus gesehen hatte und es uns erzählen würde. Meiner Ansicht nach können wir davon ausgehen, daß sie bereits vorher in Cambridge gewesen war.«
»Aber warum ist sie dann noch mal reingefahren? Wenn sie unbedingt die Finderin der Leiche spielen wollte, nachdem Rosalyn sie gesehen hatte, warum ist sie dann nicht direkt zur Polizei gelaufen - direkt nach dem Mord.«
»Das konnte sie nicht«, antwortete Lynley. »Sie mußte sich umziehen.«
Barbara starrte ihn verständnislos an. »Ah ja. Ich scheine wirklich auf den Kopf gefallen zu sein. Wieso mußte sie sich umziehen?«
»Blut«, warf St. James ein.
Lynley nickte seinem Freund im Rückspiegel zu, ehe er zu Barbara sagte: »Sie konnte doch nicht zur Polizei laufen und die Auffindung einer Toten melden, wenn sie einen Trainingsanzug anhatte, der vorn mit dem Blut des Opfers bespritzt war.«
»Warum ist sie dann überhaupt zur Polizei gegangen?«
»Weil Rosalyn Simpson sie gesehen hatte, und sie fürchtete, daß sie der Polizei davon erzählen und möglicherweise eine so akkurate Beschreibung geben würde, daß man sie ausfindig machen würde. Aber wenn sie als Finderin der Leiche selbst zur Polizei ging, meinte sie, würde kein Mensch auf den Gedanken kommen, sie sei zweimal auf der Insel gewesen. Warum hätte jemand vermuten sollen, sie habe diese junge Frau getötet, sei nach Hause gefahren, um sich umzuziehen und dann wieder zurückgekommen?«
»Eben, Sir. Warum hat sie's also getan?«
»Um auf Nummer Sicher zu gehen«, sagte St. James. »Für den Fall, daß Rosalyn zur Polizei gehen sollte, ehe sie sie beseitigen konnte.«
»Wenn sie andere Kleidung trug als die, die Rosalyn an der Mörderin gesehen hatte«, fuhr Lynley fort, »wenn einer oder mehrere ihrer Nachbarn bestätigen konnten, daß sie erst um sieben ihr Haus verlassen hatte, warum hätte dann jemand auf die Idee kommen sollen, sie sei die Mörderin eines Mädchens, das ungefähr eine halbe Stunde zuvor umgekommen war?«
»Aber Rosalyn sagte uns doch, die Frau habe helles Haar gehabt, Sir. Das war praktisch das einzige, woran sie sich erinnerte.«
»Richtig. Ein Schal, eine Mütze, eine Perücke.«
»Wozu die Umstände?«
»Damit Elena glaubte, Justine zu sehen.« Lynley fädelte in den Kreisverkehr an der Lensfield Road ein, ehe er fortfuhr. »Über den Zeitfaktor sind wir von Anfang an gestolpert, Sergeant. Und weil wir da nicht klar kamen, haben wir uns zwei Tage lang in allen möglichen Sackgassen von der sexuellen Belästigung bis zur Schwangerschaft, verschmähter Liebe, Eifersucht und verbotenen Affären locken
Weitere Kostenlose Bücher