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05 - Denn bitter ist der Tod

05 - Denn bitter ist der Tod

Titel: 05 - Denn bitter ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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gewesen war, der Freund und Kumpel, mit dem man Pferde stehlen konnte. Aber von Tag zu Tag fiel es ihm schwerer, diesen Schein rein brüderlicher Zuneigung zu wahren.
    Sie traf sich mit anderen Männern. Sie erzählte ihm das nicht direkt, aber er merkte es. Er las es in ihren Augen, wenn sie von einem Theaterbesuch berichtete, von einem Fest, auf dem sie gewesen war, einer Ausstellung, die sie besucht hatte. Und wenn es ihm auch gelang, sich in flüchtigen Abenteuern mit anderen Frauen, Helen vorübergehend aus dem Kopf zu schlagen, die innere Bindung konnte er nicht zerreißen.
    Er war erschöpft. Er stand vom Schreibtisch auf und ging zum Waschbecken. Er spritzte Wasser in sein Gesicht und betrachtete es ruhig im Spiegel.
    In Cambridge würde es sich entscheiden, sagte er sich. Ob Gewinn oder Verlust, hier würde es sich entscheiden.
    Wieder am Schreibtisch, überflog er, was er geschrieben hatte, ohne etwas davon aufzunehmen. Ungeduldig schlug er das Heft zu.
    Die Luft im Zimmer erschien ihm plötzlich unerträglich stickig, und er beugte sich über den Schreibtisch, um das Fenster ganz nach oben zu schieben. Feucht und kühl berührte die Nachtluft sein Gesicht. Vom Friedhof - halb verhüllt vom Nebel - stieg der schwache Duft der Fichten herauf, und während er den würzigen Geruch einatmete, stellte er sich den Boden dort unter den Bäumen vor, von herabgefallenen Nadeln übersät, weich und elastisch unter dem Fuß.
    Eine Bewegung am Zaun zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Im ersten Moment glaubte er, der Wind habe aufgefrischt und sei dabei, die Nebelschwaden um Bäume und Büsche zu zerreißen. Dann sah er eine Gestalt aus dem Schatten der Bäume treten, die von ihm weg an den Fahrrädern vorbeihuschte. Sie hielt den Kopf erhoben, als wollte sie die Fenster des Gebäudes auf der Ostseite des Hofs im Auge behalten. Frau oder Mann, das konnte Lynley nicht erkennen, und als er die Schreibtischlampe ausschaltete, um besser sehen zu können, erstarrte die Gestalt plötzlich, als hätte sie selbst auf diese Entfernung gespürt, daß sie beobachtet wurde. Dann hörte Lynley das Geräusch eines leerlaufenden Automotors aus der Trinity Lane; die lachenden Stimmen junger Leute, die einander gute Nacht wünschten. Eine Hupe jaulte, krachend wurde der Gang eingelegt, und der Wagen brauste aufheulend davon. Die Stimmen verklangen, und die schattenhafte Gestalt unten gewann wieder Substanz.
    Sie lief zu einer Tür auf der Ostseite des Hofs. Die Laterne dort, von Efeu umrankt, spendete nur trübes Licht. Lynley wartete darauf, daß der Schatten in den milchigen Lichtschein direkt vor der Tür treten würde, hoffte, er würde einen Blick über die Schulter werfen und ihm, wenn auch noch so flüchtig, sein Gesicht zeigen. Aber ohne sich umzudrehen, huschte die Gestalt lautlos zur Türnische, umschloß mit heller Hand den Türknauf und verschwand im Gebäude. Einen Moment lang jedoch, als sie unter dem Licht hindurchglitt, konnte Lynley das Haar sehen - lang, voll und dunkel.
    Eine Frau. Sofort dachte er an ein heimliches Stelldichein, an einen Liebhaber, der nervös und ungeduldig hinter einem dieser dunklen Fenster wartete. Gleich würde eines von ihnen hell werden. Aber es geschah nichts. Statt dessen wurde plötzlich die Tür geöffnet, und die Frau, die eben erst im Haus verschwunden war, trat wieder heraus. Diesmal blieb sie einen Moment unter dem Licht stehen, um die Tür hinter sich zuzuziehen. Der schwache Schein zeigte die Rundung einer Wange, die Konturen von Nase und Kinn. Aber nur einen Moment lang. Dann war sie schon wieder fort, eilte über den Hof und verschmolz mit der Dunkelheit beim Friedhof, so lautlos wie der Nebel.

6
    Die Polizeidienststelle war am Parker's Piece, einer großzügigen Grünanlage mit zahlreichen Spazierwegen. Hier zogen Jogger ihre dampfenden Atemwölkchen hinter sich her, und auf der Wiese jagten zwei Dalmatiner ein orangerotes Frisbee, das ein Mann mit Vollbart und Glatze ihnen warf. Alle Welt schien glücklich zu sein, daß der Nebel sich endlich aufgelöst hatte. Selbst die Fußgänger, die auf dem Bürgersteig vorüberhasteten, hielten ihre Gesichter der Sonne entgegen. Es war nicht milder als an den Tagen zuvor, und der scharfe Wind biß durch die Kleider, aber der blaue Himmel und das klare Licht ließen die Kälte eher belebend als unangenehm erscheinen.
    Lynley blieb vor dem unfreundlichen Gebäude aus Beton und Backstein stehen, in dem die Hauptdienststelle der örtlichen

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