05 - Denn bitter ist der Tod
als hätte sie gehofft, er habe seine Frage vergessen. Er setzte sich zu ihr an den Tisch. Sie goß Whisky in beide Tassen, rührte mit demselben Löffel um, den sie dann ableckte und beim Sprechen zum Gestikulieren benutzte.
»Nicht nur«, erklärte sie. »Sie war gut befreundet mit den Mädchen vom Hare and Hounds. Die sind ab und zu vorbeigekommen. Oder sie ist mit ihnen weggegangen - zu Partys oder so. Sie ist unheimlich gern ausgegangen. Ich weiß, sie hat gern getanzt. Sie sagte immer, sie könnte die Schwingungen der Musik spüren, wenn sie laut genug sei.«
»Und die Männer?« fragte Lynley.
Sie schlug sich mit dem Kaffeelöffel auf die offene Hand. »Meine Mutter wäre glückselig, wenn ich auch nur ein Zehntel von dem ausstrahlen würde, was Elena hatte. Die Männer sind auf sie geflogen, Inspector.«
»Und du konntest das eigentlich nicht verstehen?«
»Im Gegenteil. Ich konnte es sehr gut verstehen. Sie war originell und lustig, sie hat gern geredet und konnte gut zuhören - komisch eigentlich, wenn man bedenkt, daß sie in Wirklichkeit keines von beidem konnte, nicht? Aber irgendwie hat sie einem immer den Eindruck vermittelt, daß nur man selbst sie interessierte, wenn sie mit einem zusammen war. Darum kann ich gut verstehen, daß Männer - Sie wissen schon.« Sie wedelte mit dem Löffel.
»Eitel wie wir Männer nun mal sind.«
»Na ja, Männer sehen sich doch gern als Nabel der Welt. Und Elena hat's eben verstanden, ihnen die Illusion zu lassen.«
»Bestimmte Männer?«
»Na, Gareth Randolph zum Beispiel«, sagte Miranda. »Er war oft bei ihr. Zwei-, dreimal die Woche bestimmt. Ich hab's immer gemerkt, wenn Gareth hier war. Dann lag so eine Spannung in der Luft. Er hat was wahnsinnig Intensives, wissen Sie. Elena sagte, sie könnte seine Aura schon spüren, wenn er unten zur Tür reinkäme. Oh-oh, jetzt wird's heiß, sagte sie immer, wenn wir zusammen in der Küche waren. Und eine Minute später war er da. Sie behauptete, in bezug auf Gareth hätte sie einen sechsten Sinn.« Miranda lachte. »Aber ich glaube eher, sie hat sein Rasierwasser gerochen.«
»Waren die beiden ein Paar?«
»Sie waren jedenfalls viel zusammen. Und die Leute haben sie in einen Topf geworfen.«
»War Elena das recht?«
»Sie sagte, sie seien nur Freunde.«
»Gab es sonst noch einen besonderen Mann?«
Sie trank einen Schluck Kaffee, goß noch etwas Whisky in ihre Tasse und schob ihm die Flasche über den Tisch. »Ich weiß nicht, ob er ihr was Besonderes bedeutet hat, aber sie ist auch mit Adam Jenn ausgegangen. Er ist Doktorand bei ihrem Vater. Sie hat ihn ziemlich häufig gesehen. Und ihr Vater ist natürlich oft hier gewesen, aber das zählt ja wohl nicht. Der kam ja nur zur Kontrolle. Sie hat im letzten Jahr ziemlich gebummelt, und er wollte dafür sorgen, daß das nicht noch mal passierte. So hat's Elena jedenfalls hingestellt. Da kommt der Kontrolleur, sagte sie immer, wenn sie ihn vom Fenster aus sah. Ein- oder zweimal hat sie sich in meinem Zimmer versteckt, um ihn zu ärgern, und kam dann lachend raus, wenn er gerade anfing wütend zu werden, weil sie nicht da war.«
»Das Programm, das sich die Leute hier ausgedacht hatten, um sie bei der Stange zu halten, hat ihr vermutlich nicht gefallen.«
»Sie sagte, das Beste daran sei die Maus. Sie nannte sie Tibbit, meine Zellengefährtin. Das war typisch für sie. Sie hatte ein Talent dafür, alles von der komischen Seite zu nehmen.«
Miranda schien ihren Schatz an Informationen ausgeschöpft zu haben. Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück, zog die Beine zum Schneidersitz hoch und trank von ihrem Kaffee. Doch der Blick, mit dem sie ihn ansah, war unsicher, als hielte sie etwas zurück.
»Das waren doch noch nicht alle, nicht wahr, Randie?«
Miranda wand sich. Sie inspizierte die Äpfel und Orangen in der kleinen Schale auf dem Tisch und danach die Poster an der Wand. Dizzy Gillespie, Louis Armstrong, Wynton Marsalis, Dave Brubeck am Klavier, Ella Fitzgerald am Mikrofon. Ihre erste Liebe galt immer noch dem Jazz.
»Miranda«, sagte Lynley. »Wenn du etwas weißt...«
»Ich weiß ja eben nichts, Inspector. Jedenfalls nicht mit Sicherheit. Ich kann Ihnen doch nicht jede Kleinigkeit weitertratschen. Ich meine, am Ende ist sie völlig belanglos, aber ich hab Leute in Schwierigkeiten gebracht, weil ich Ihnen davon erzählt habe. Mein Vater hat immer gesagt, so was sei bei der Polizeiarbeit die größte Gefahr.«
Lynley nahm sich vor, Webberly für die
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