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05 - Denn bitter ist der Tod

05 - Denn bitter ist der Tod

Titel: 05 - Denn bitter ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Brücke gerannt und dann über das Moor. Es gibt da einen Fußweg, der gleich bei der technischen Fakultät herauskommt. Da hatte ich meinen Wagen abgestellt.«
    »Und von dort sind Sie zur Polizei gefahren?«
    »Ich bin weitergelaufen. Die Lensfield Road hinunter. Über Parker's Piece. Das ist nicht weit.«
    »Aber Sie hätten fahren können.«
    »Das stimmt. Ja.« Sie verteidigte sich nicht. Der Hund räkelte sich unter ihrer Hand und seufzte einmal tief. Sie erwachte aus ihrer Versunkenheit. »Ich war nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich war schon vorher das reinste Nervenbündel. Für mich ging es doch um Sein oder Nichtsein. Können Sie das verstehen? Ich wollte den Bann brechen, der mich seit Monaten lahmte. Das war das einzige, was ich im Kopf hatte. Als ich die Leiche fand, war ich keiner angemessenen Reaktion fähig. Ich hätte nachsehen sollen, ob das Mädchen noch lebte. Ich hätte versuchen sollen, ihr zu helfen. Ich hätte auf dem gepflasterten Weg bleiben sollen. Ich hätte mit dem Wagen zur Polizei fahren sollen. Das weiß ich alles. Ich habe keine Erklärung für mein Verhalten. Höchstens, daß ich völlig den Kopf verlor. Sie können mir glauben, daß ich ziemlich entsetzt über mich selber bin.«
    »War in der technischen Fakultät schon Licht?«
    Sie richtete ihren Blick auf ihn, schien jedoch durch ihn hindurchzusehen. »Licht? Ich glaube, ja. Aber ich kann es nicht mit Sicherheit sagen.«
    »Haben Sie unterwegs jemanden gesehen?«
    »Auf der Insel nicht. Und im Moor auch nicht, da war es zu neblig. In der Lensfield Road bin ich an ein paar Radfahrern vorbeigekommen, und natürlich waren Autos auf der Straße. Aber das ist alles, woran ich mich erinnere.«
    »Warum haben Sie sich gerade die Insel ausgesucht? Warum sind Sie nicht hier in Grantchester geblieben? Zumal bei dem Nebel.«
    Wieder errötete sie. »Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen erklären soll. Ich hatte den Tag festgesetzt, und ich hatte mir vorgenommen, auf die Insel zu fahren. Wenn ich da irgend etwas verändert hätte, wäre mir das wie ein Ausweichen vorgekommen, wie Flucht und Kapitulation. Und genau das wollte ich nicht. Ich weiß, es klingt erbärmlich. Rigide und zwanghaft. Aber so war es.« Sie stand auf. »Kommen Sie«, sagte sie. »Vielleicht können Sie es verstehen, wenn Sie mein Atelier sehen.«
    Sie führte sie in den rückwärtigen Teil des Hauses und ließ sie dort in ihr Atelier treten. Es war ein großer, lichter Raum, in dessen Decke vier rechteckige Oberlichte eingelassen waren. Lynley blieb stehen, bevor er eintrat, und sah sich um. Was er sah, wirkte wie die wortlose Bestätigung dessen, was Sarah Gordon ihnen erzählt hatte.
    An den Wänden hingen große Kohlezeichnungen - ein menschlicher Torso, ein körperloser Arm, zwei Nackte, die sich umarmten, ein Männergesicht im Halbprofil -, Studien, wie ein Maler sie zu machen pflegt, ehe er ein neues Werk in Angriff nimmt. Doch ein fertiges Werk war nirgends zu sehen; statt dessen lehnten Dutzende angefangener und niemals vollendeter Bilder unter den Skizzen an den Wänden. Auf einem großen Arbeitstisch standen und lagen Sarah Gordons Utensilien: Kaffeedosen, in denen saubere, trockene Pinsel steckten; Flaschen mit Terpentin, Leinöl und Lack; ein Kasten mit unbenutzten Pastellfarben; mehr als ein Dutzend Farbtuben mit handbeschrifteten Etiketten. Es hätte ein kreatives Chaos sein müssen, Farbkleckse auf dem Tisch, Fingerabdrücke auf Flaschen und Dosen, aufgeschraubte Tuben, an deren Öffnung Farbwürstchen vertrockneten. Statt dessen sah es so sauber und ordentlich aus wie in einer Ausstellung unter dem Motto Ein Tag aus dem Leben von...
    Nicht ein Hauch von Terpentin hing in der Luft. Keine Skizzen, als Vorlage gebraucht oder verworfen, lagen herum. Keine fertigen Gemälde warteten auf den letzten Lacküberzug. Es war offensichtlich, daß der Raum regelmäßig gereinigt wurde; der Eichenboden glänzte wie unter Glas, und nirgends war auch nur ein Stäubchen zu entdecken. Unter einem der Oberlichte stand eine Staffelei mit einem Gemälde, das mit einem Tuch voller Farbkleckse zugedeckt war, und selbst das sah aus, als sei es monatelang nicht angerührt worden.
    »Das war mal der Mittelpunkt meines Lebens«, sagte Sarah Gordon resigniert. »Verstehen Sie jetzt, Inspector? Ich möchte, daß es wieder zum Mittelpunkt wird.«
    Barbara Havers war zu einem hohen Regal auf der anderen Seite des Zimmers getreten. Kästen mit Dias waren auf den Borden,

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