05 - Denn bitter ist der Tod
stand.
Sarah Gordon, die sah, welche Richtung sein Blick nahm, sagte: »Ich habe mir eben einen Topf Kakao gemacht. Kakao tut mir immer gut, wenn ich niedergedrückt bin. Möchten Sie eine Tasse?«
Er schüttelte den Kopf. »Sergeant?«
Barbara lehnte dankend ab und setzte sich auf das helle Sofa, wo sie Schal und Mantel ablegte und ihren Notizblock aus ihrer Schultertasche kramte. Eine große rote Katze, die unversehens hinter dem Vorhang am Fenster hervorkam, sprang über die Sofalehne direkt auf ihren Schoß und machte es sich dort gemütlich.
Sarah, mit dem Kakaobecher in der Hand, rettete sie. »Entschuldigen Sie«, sagte sie und nahm die Katze hoch. Sie setzte sich ans andere Ende des Sofas und vergrub ihre Finger im flauschigen Fell der Katze. Die Hand, die den Becher hielt, zitterte merklich. Wie um sich für diese Anfälligkeit zu entschuldigen, sagte sie: »Ich habe nie vorher einen Toten gesehen. Nein, das stimmt nicht ganz. Ich habe Tote in Särgen gesehen, aber eben erst, nachdem sie vom Bestattungsinstitut hergerichtet worden waren. Anscheinend können wir den Tod nur so ertragen - wenn er uns gefällig präsentiert wird. Aber das andere Gesicht... am liebsten würde ich vergessen, daß ich sie überhaupt gesehen habe, aber die Erinnerung ist mir wie in mein Hirn eingebrannt.« Sie griff sich an das Frottiertuch, das sie um ihren Kopf gewunden hatte. »Ich habe seit gestern morgen fünfmal geduscht. Dreimal habe ich mir die Haare gewaschen. Warum tue ich das?«
Lynley hatte sich in den Sessel dem Sofa gegenüber gesetzt. Er versuchte gar nicht, eine Antwort auf die Frage zu geben. Jeder reagierte auf die Konfrontation mit gewaltsamem Tod ganz anders. Er hatte junge Kriminalbeamte gekannt, die so lange nicht mehr gebadet hatten, bis der Fall gelöst war; andere hatte nicht mehr gegessen; wieder andere nicht mehr geschlafen. Die meisten von ihnen wurden mit der Zeit immun gegen Tod und Gewalt, sahen in einem Mord nur noch die Arbeit, die mit ihm auf sie zukam. Aber wer nicht beruflich mit dem Tod zu tun hatte, sah es anders. Er nahm den gewaltsamen Tod persönlich, wie eine absichtlich gegen ihn gerichtete Gemeinheit. Niemand wollte auf so grausame Weise an die eigene Vergänglichkeit erinnert werden.
Er sagte: »Erzählen Sie mir von gestern morgen.«
Sarah stellte den Becher auf einen kleinen Tisch und schob auch die andere Hand in das Fell der Katze. Das Tier schien zu spüren, daß die Berührung kein Zeichen von Zuneigung war, sondern ein Suchen nach Halt und Trost, und es verweigerte sich. Mit flach zurückgelegten Ohren begann es zu knurren. Sarah streichelte es. »Komm, Silk«, sagte sie, »sei lieb.« Doch die Katze ließ sich nicht beschwichtigen. Sie richtete sich schweifschlagend auf, und als Sarah sie festhalten wollte, sprang sie zornig fauchend zu Boden. Sarah blickte ihr niedergeschlagen nach, wie sie zum Kamin trottete und sich dort niederließ.
»Katzen«, bemerkte Barbara vielsagend. »Genau wie Männer.«
Sarah schien ernsthaft über die Bemerkung nachzudenken. Sie saß, als hielte sie immer noch die Katze im Schoß, leicht vorgebeugt, die Hände auf den Oberschenkeln, in Schutzhaltung. »Gestern morgen«, sagte sie.
»Ja bitte«, sagte Lynley.
Sie hatte die Fakten schnell berichtet und fügte dem, was Lynley im Polizeibericht gelesen hatte, kaum etwas hinzu. Von Schlaflosigkeit geplagt, war sie um Viertel nach fünf aufgestanden, hatte sich angekleidet, eine Schale Cornflakes gegessen. Sie hatte die Zeitung vom Vortag gelesen, ihre Malsachen sortiert und zusammengepackt. Um kurz vor sieben war sie am Fen Causeway angekommen. Sie war auf die Insel gegangen, um die Brücke zu zeichnen. Sie hatte die Leiche gefunden.
»Ich bin auf sie getreten«, sagte sie. »Ich - ich darf gar nicht daran denken. Ich verstehe nicht - ich meine, ich hätte doch den Impuls haben müssen, ihr zu helfen. Ich hätte nachsehen müssen, ob sie noch lebt. Aber ich habe nichts dergleichen getan.«
»Wo genau hat sie gelegen?«
»Gleich neben einer kleinen Lichtung auf dem Weg zum Südende der Insel.«
»Sie haben sie nicht sofort bemerkt?«
Sie griff nach ihrem Kakaobecher und umschloß ihn mit beiden Händen. »Nein. Ich war ja zum Zeichnen gekommen. Ich wollte endlich wieder etwas schaffen. Ich hatte monatelang nicht mehr gearbeitet - genauer gesagt, nichts mehr von Wert produziert. Ich fühlte mich völlig unzulänglich, wie gelähmt, und ich hatte entsetzliche Angst, es könnte völlig weg
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