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05 - Denn bitter ist der Tod

05 - Denn bitter ist der Tod

Titel: 05 - Denn bitter ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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ihren. Es war, als hätte der Fotograf eine Wahrheit erkannt, die sie selbst nicht gesehen hatten.
    Zum ersten Mal sah Justine, was geschehen konnte, wenn sie nichts tat, und wußte, daß sie handeln mußte, auch wenn sie es lieber nicht getan hätte.
    Townee spielte noch vorn im Garten, als sie aus dem Haus ging. Um sich die Zeit zu sparen, die es gekostet hätte, ihn hinten ins Haus zu sperren, rief sie ihn zu sich, machte die Autotür auf und ließ ihn in den Wagen springen, ohne sich darum zu kümmern, daß er schmutzige Tapser auf dem Beifahrersitz hinterließ. Jetzt war nicht der Moment, sich über Kleinigkeiten wie verschmutzte Autobezüge aufzuregen.
    Sie fuhr den Wagen rückwärts aus der Auffahrt hinaus und nahm die Richtung zur Stadt. Er war vermutlich wie die meisten Männer ein Gewohnheitstier. Also würde er seinen Tag wahrscheinlich am Midsummer Common beschließen.
    Hinter den Wolken verströmte die Sonne ihr letztes Licht und sandte lange rosige Strahlen in den Himmel hinauf. Townee bellte aufgeregt vorüberfliegende Hecken und vorbeifahrende Autos an.
    Die Bootshäuser der Colleges säumten das Nordufer des Cam. Sie blickten über den Fluß hinweg nach Süden zum Midsummer Common, wo in der jetzt rasch einfallenden Dunkelheit ein junges Mädchen mit einem Cowboyhut auf langem blonden Haar eines von zwei Pferden striegelte. Das Pferd warf ungeduldig den Kopf und wehrte sich mit schlagendem Schweif gegen ihre Bemühungen. Aber das Mädchen mit dem Cowboyhut hatte es fest unter Kontrolle.
    Der Wind schien hier, wo keine Häuser Schutz boten, kälter und stärker zu sein. Als Justine aus dem Wagen stieg und Townee an die Leine nahm, flatterten ihr drei orangefarbene Zettel wie wilde Vögel ins Gesicht. Sie schlug sie weg. Einer fiel auf die Kühlerhaube ihres Peugeots. Sie sah Elenas Bild.
    Es war ein Flugblatt der Gehörlosenvereinigung, das um Informationen bat. Sie packte es, ehe der Wind es fortblasen konnte, und schob es in ihre Manteltasche. Dann ging sie zum Fluß.
    Um diese Tageszeit waren keine Rudermannschaften auf dem Wasser. Sie trainierten im allgemeinen vormittags. Aber die einzelnen Bootshäuser waren noch offen, eine Reihe eleganter Fassaden, hinter denen sich nichts weiter verbarg als geräumige Schuppen.
    Justine folgte mit dem Hund an der Leine der sanften Biegung des Flusses. Der Hund zog und hechelte, voll eifrigen Verlangens, die Bekanntschaft der vier Enten zu machen, die schnell vom Ufer abstießen, als sie ihn sahen. Justine nahm die Leine kürzer.
    »Schluß jetzt!« sagte sie ungeduldig. »Bei Fuß!«
    Vor ihnen näherte sich ein einsamer Skull gegen Wind und Strömung dem Ufer. Justine bildete sich ein, ihn keuchen zu hören, denn selbst auf diese Entfernung und im trüber werdenden Licht konnte sie den Glanz des Schweißes auf seinem Gesicht erkennen. Sie ging an den Flußrand.
    Er sah nicht gleich auf, als er das Boot hereingebracht hatte. Er blieb über die Ruder gebeugt, den Kopf auf die Hände gestützt. Sein Haar - am Scheitel schütter - klebte feucht und geringelt an seinem Kopf. Justine fragte sich, wie lange er gerudert war und ob die körperliche Bewegung ihm irgendwie geholfen hatte, der Gefühle Herr zu werden, die ihn zweifellos überwältigt hatten, als er von Elenas Tod gehört hatte.
    Erst als Townee zu winseln anfing, weil er laufen wollte, sah der Mann auf. Er sagte nichts. Auch Justine schwieg. Der Hund winselte weiter, die Enten quakten warnend, aus einem der Bootshäuser schallte Rock and Roll-Musik herüber.
    Der Mann stieg aus dem Boot und kam ans Ufer. Ihr wurde bewußt, daß sie vergessen hatte, wie klein er war, vielleicht fünf Zentimeter kleiner als sie selbst, die nur eins dreiundsiebzig war.
    Mit einer nachlässigen Geste zum Boot sagte er: »Ich wußte nicht, was ich sonst tun sollte.«
    »Du hättest nach Hause fahren können.«
    Er lachte fast lautlos. Mit einer Hand kraulte er Townee den Kopf. »Er sieht gut aus. Gesund. Sie hat sich gut um ihn gekümmert.«
    Justine griff in ihre Tasche und zog das Flugblatt heraus, das ihr entgegengeflogen war. Sie gab es ihm. »Hast du das gesehen?«
    Er las es. Er strich mit den Fingern über die schwarze Schrift und dann über Elenas Bild.
    »Ja«, sagte er, »ich habe es schon gesehen. So habe ich es erfahren. Niemand hat mich angerufen. Ich hatte keine Ahnung. Ich habe es im Aufenthaltsraum gesehen, als ich heute morgen um zehn reinging, um mir einen Kaffee zu holen. Und dann... « Er blickte über

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