05 - Denn bitter ist der Tod
Den hatten ihr die vergangenen zehn Jahre gebracht - sie war mit fünfunddreißig zur Verlagsleiterin aufgestiegen -, aber sie hatten auch ihr Bewußtsein für ihre eigene Vergänglichkeit geschärft und den starken Wunsch in ihr geweckt, etwas Eigenes zu hinterlassen, etwas, das nicht das Werk eines anderen war.
Ein Monat nach dem anderen verstrich. Ein Ei nach dem anderen wurde vom Blutstrom ausgespült. Eine Lebensmöglichkeit nach der anderen wurde vertan.
Aber Elena war schwanger gewesen.
Justine wollte schreien. Weinen. Das kostbare Hochzeitsgeschirr aus dem Schrank reißen und jedes Stück einzeln an die Wand schleudern. Möbel umstürzen. Bilder zertrümmern. Mit der Faust durch die Fensterscheibe schlagen. Statt dessen senkte sie den Blick zu dem Glas, das sie in der Hand hielt, und stellte es sorgsam und präzise in die blütenweiße Porzellanspüle.
Sie dachte an den Blick, mit dem Anthony seine Tochter angesehen hatte; das Feuer blinder Liebe in diesem Blick. Und dennoch hatte sie es geschafft, sich zurückzuhalten, zu schweigen und nichts zu sagen, anstatt die Wahrheit auszusprechen und zu riskieren, daß er daraus schließen würde, daß sie seine Liebe zu Elena nicht teilte. Elena. Die ungezügelte, widersprüchliche Vitalität ihres Wesens - die rastlose, nervöse Energie, der forschende Verstand, der überschwengliche Humor, der tiefe schwarze Zorn. Und immer das leidenschaftliche Verlangen nach unbedingter Annahme, das in steter Fehde mit ihrem Wunsch nach Rache lag.
Die Rache war ihr gelungen. Justine hätte gern gewußt, was Elena empfunden hatte, wenn sie an den Moment dachte, da sie ihrem Vater sagen würde, daß sie schwanger war; daß sie ihn dafür bezahlen lassen würde, daß er sie nie so akzeptiert hatte, wie sie war. Es mußte ein Triumph für sie gewesen sein. Und sie selbst - Justine - müßte eigentlich auch ein wenig Triumph verspüren, da sie nun einen Beweis in der Hand hatte, der Anthonys Illusionen über seine Tochter ein für allemal zerstören würde. Sie war doch schließlich froh, wirklich froh, daß Elena tot war.
Sie wandte sich von der Spüle ab und ging durch das Speisezimmer ins Wohnzimmer. Es war still im Haus. Sie fror plötzlich und drückte eine Hand erst an ihre Stirn, dann an ihre Wangen. Vielleicht, dachte sie, brüte ich etwas aus. Dann setzte sie sich, die Hände im Schoß gefaltet, auf das graue Ledersofa und starrte auf den wohlgeordneten, symmetrischen Stapel künstlicher Kohle im offenen Kamin.
Wir geben ihr ein Zuhause, hatte er gesagt, als er erfahren hatte, daß Elena nach Cambridge kommen würde. Wir geben ihr Liebe. Nichts, Justine, ist wichtiger als das.
Zum ersten Mal seit Anthonys verzweifeltem Anruf am Vortag, dachte Justine darüber nach, wie Elenas Tod sich möglicherweise auf ihre Ehe auswirken würde. Denn wie oft hatte Anthony davon gesprochen, wie wichtig es sei, Elena außerhalb des College ein heiles Zuhause zu bieten, und wie oft hatte er die Dauerhaftigkeit ihrer zehnjährigen Ehe als ein leuchtendes Beispiel jener Art von Hingabe, Treue und stärkender Liebe angeführt, die alle suchten und wenige fanden, wenn sie heirateten. Wie oft hatte er von ihrer Zweisamkeit als einer Insel des Friedens gesprochen, auf die seine Tochter sich zurückziehen konnte, um sich für die Herausforderungen und Kämpfe ihres Lebens zu stärken.
Elena würde im Glanz und in der Wärme ihrer ehelichen Liebe gedeihen und wachsen. Sie würde ihr Frausein besser akzeptieren können, da sie eine vorbildhafte Ehe erlebt hatte, die glücklich und liebevoll und rundum vollkommen war.
Das war Anthonys Plan gewesen. Sein Traum. Und indem sie beide allen Widerwärtigkeiten zum Trotz daran festgehalten hatten, war es ihnen möglich gewesen, die Realität zu verschleiern und weiterhin die Lüge zu leben.
Justine blickte vom Kamin zu ihrem Hochzeitsbild. Sie saßen - war es eine Art Bank gewesen? - Anthony ein wenig hinter ihr. Sein Haar war damals länger gewesen, aber sein Schnurrbart war so konservativ gestutzt wie heute, und seine Brille hatte das gleiche Nickelgestell. Beide blickten sie aufmerksam in die Kamera, mit einem halben Lächeln nur, als könnte ein Vorzeigen allzuviel Glücks die Ernsthaftigkeit ihres Unterfangens in Frage stellen. Es ist schließlich eine schwerwiegende Sache, in das Unternehmen »vollkommene Ehe« einzusteigen. Aber ihre Körper berührten einander nicht auf dem Foto. Sein Arm umfing sie nicht. Seine Hände hielten nicht die
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