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05 - Denn bitter ist der Tod

05 - Denn bitter ist der Tod

Titel: 05 - Denn bitter ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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verwirrt die Stirn. »Wie meinen Sie das? Alle haben mir gesagt...«
    Gareth nahm sich ein Blatt Papier. Mit einem grünen Filzstift schrieb er zwei Wörter: Gehörlos und gehörlos. Das große G unterstrich er dreimal und schob das Blatt über den Schreibtisch.
    Während Lynley auf die zwei Wörter blickte, sprach Bernadette. Ihre Hände schlössen Randolph in das Gespräch mit ein. »Er will damit sagen, Inspector, daß Elena gehörlos mit kleinem g war. Sie war behindert. Alle hier - besonders aber Gareth - sind gehörlos mit großem G.«
    »Und das große G steht für anders?« fragte Lynley, der daran denken mußte, was Justine Weaver zu ihm gesagt hatte.
    Gareth begann zu gestikulieren. »Ja, anders. Natürlich sind wir anders. Wir leben in einer Welt ohne Laute. Aber es ist mehr als das. Gehörlos sein mit großem G, das ist eine eigene Kultur. Gehörlos sein mit kleinem g ist eine Behinderung. Elena gehörte zu den Behinderten.«
    Lynley deutete auf das erste der zwei Wörter. »Und Sie wollten Elena in diese Kultur einführen?«
    »Würden Sie nicht auch wollen, daß ein Freund statt zu kriechen laufen lernt?«
    »Ich verstehe diesen Vergleich nicht ganz.«
    Randolph schob seinen Stuhl so heftig zurück, daß er quietschend über den Linoleumboden schrammte. Er ging zum Bücherregal und zog zwei große, in Leder gebundene Alben heraus. Er warf sie auf den Schreibtisch. Auf dem Einband beider stand VGS und darunter eine Jahreszahl.
    »Sehen Sie, was ich meine.« Randolph setzte sich wieder.
    Lynley schlug eines der Alben an einer beliebigen Stelle auf. Es schien sich um ein Protokoll aller Aktivitäten gehörloser Studenten im vergangenen Jahr zu handeln, bestehend aus schriftlichen Berichten und Fotografien. Alles war eingeschlossen, von den Spielen der Rugby-Mannschaft bis zu den Tanzveranstaltungen, bei denen starke Lautsprecher den Rhythmus der Musik durch Schwingungen übertrugen, sowie Picknicks und gesellige Zusammenkünfte, bei denen Dutzende von Händen gleichzeitig gestikulierten und Dutzende von Gesichtern in lebendiger Aufmerksamkeit strahlten.
    Lynley blätterte weiter. Er sah drei Rudermannschaften, deren Schlag von ihrem Steuermann mit Hilfe eines roten Signalfähnchens bestimmt wurde; eine zehnköpfige Percussion-Band, die sich eines überdimensionalen Metronoms bediente, um im gemeinsamen Rhythmus zu bleiben; eine Gruppe Flamenco-Tänzerinnen; eine Gruppe Turnerinnen und Turner. Und auf jeder Fotografie waren die Aktiven umgeben von Fans, deren Hände ihre gemeinsame Sprache sprachen. Lynley legte das Album wieder nieder.
    »Wirklich eine tolle Gruppe«, sagte er.
    »Das ist keine Gruppe. Das ist ein Lebensstil.« Randolph stellte die Alben wieder weg.
    »Und wollte Elena an diesem Lebensstil teilhaben?«
    »Sie wußte nicht mal, daß so was existierte, bis sie zu uns kam. Ihr hatte man immer nur beigebracht, daß Gehörlosigkeit eine Behinderung ist.«
    »Da habe ich aber einen anderen Eindruck erhalten«, widersprach Lynley. »Wie ich hörte, haben ihre Eltern alles getan, um ihr jede Möglichkeit der Integration in die Welt der Hörenden zu geben. Sie haben ihr beigebracht, von den Lippen abzulesen. Sie haben ihr beigebracht zu sprechen. Das läßt doch weiß Gott nicht darauf schließen, daß sie sich mit der Gehörlosigkeit als einer Behinderung abgefunden haben.«
    Randolph begann heftig zu gestikulieren. »Integration in die Welt der Hörenden - das ist doch Illusion. Wir können höchstens versuchen, die Hörenden in unsere Welt hereinzuholen. Damit sie uns als Menschen sehen, die genauso gut sind wie sie selbst. Aber ihr Vater wollte unbedingt, daß sie so tat, als gehörte sie zu den Hörenden. Brav von den Lippen ablesen. Brav sprechen.«
    »Das ist doch kein Verbrechen. Wir leben schließlich in einer Welt der Hörenden.« »Sie leben in einer Welt der Hörenden. Wir anderen kommen auch ohne Gehör gut zurecht. Wir wollen Ihr Gehör gar nicht haben. Aber das können Sie nicht glauben, nicht wahr? Weil Sie sich einbilden, etwas Besonderes zu sein, und nicht einfach anders.«
    Wieder Justine Weavers Thema in leichter Variation. Die Taubstummen sind nicht normal. Aber, lieber Gott, die, die hören und sprechen können, sind es doch meistens auch nicht.
    »Sie gehörte zu uns«, fuhr Randolph fort. »Zur VGS. Wir können stützen. Wir können verstehen. Aber das wollte er nicht. Er wollte nicht, daß sie überhaupt mit uns zu tun hatte.«
    »Ihr Vater, meinen Sie?«
    »Er wollte so

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