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05 - Denn bitter ist der Tod

05 - Denn bitter ist der Tod

Titel: 05 - Denn bitter ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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»Sie hat schon lange vorher regelmäßig mit einem oder mehreren Männern geschlafen. Auf jeden Fall seit Dezember.« Wieder schien sie seine nächste Frage vorauszusehen. »Ich weiß es, weil ich kurz vor dem Weihnachtsball eines dieser Gespräche mit ihr führte, von denen ich Ihnen erzählt habe. Da hat sie überhaupt keinen Zweifel daran gelassen, was sie tat.«
    »Wer hat sie auf den Ball begleitet?«
    »Gareth Randolph.«
    Der gehörlose Student. Gut möglich, daß Elena Weaver ihn als Instrument der Rache benutzt hatte. Wenn es ihr darum gegangen war, ihren Vater dafür büßen zu lassen, daß er sie unbedingt als völlig normale junge Frau sehen wollte, hätte sie sich kaum etwas Besseres einfallen lassen können als eine Schwangerschaft. Damit bewies sie ihm, daß sie so war, wie er sie allem Anschein nach haben wollte - die normale Tochter mit normalen Bedürfnissen und normalen Gefühlen und einem normal funktionierenden Körper. Und gleichzeitig hatte sie ihre Vergeltung, indem sie sich als Vater ihres Kindes einen Gehörlosen wählte. Die perfekte Rache. Er fragte sich nur, ob Elena tatsächlich so hinterhältig gewesen war, oder ob ihre Stiefmutter ihre Schwangerschaft dazu benutzte, ein Bild von dem Mädchen zu zeichnen, das ihren eigenen Zwecken diente.
    »Seit Januar taucht in Elenas Kalender immer wieder die Skizze eines Fisches auf. Sagt Ihnen das etwas?«
    »Ein Fisch?«
    »Ja. Mit Bleistift skizziert. Jede Woche mehrmals. Auch der Tag vor ihrem Tod war in ihrem Kalender mit diesem Zeichen markiert.«
    »Ein Fisch, sagen Sie?«
    »Ja.«
    »Ich habe keine Ahnung, was das bedeuten soll.«
    »Vielleicht ein Verein, dem sie angehörte? Eine Person, mit der sie sich regelmäßig getroffen hat?«
    »Sie machen ja den reinsten Spionageroman aus Elenas Leben, Inspector.«
    »Es scheint sich doch aber um ein Geheimnis zu handeln, oder sind Sie da anderer Meinung?«
    »Wieso?«
    »Nun, sonst hätte sie doch das niederschreiben können, wofür der Fisch stand.«
    »Vielleicht war es einfacher, den Fisch hinzuzeichnen. Es hat bestimmt nichts Besonderes zu bedeuten. Weshalb hätte sie sich sorgen sollen, daß irgend jemand sieht, was sie in ihren Kalender eingetragen hat? Es war vermutlich ein Kürzel, das sie benutzte, um etwas im Kopf zu behalten. Ein Tutorium vielleicht.«
    »Oder ein heimliches Rendezvous.«
    »Elena hat doch aus ihren sexuellen Aktivitäten überhaupt keinen Hehl gemacht, Inspector. Weshalb hätte sie in ihrem eigenen Kalender eine Verabredung mit einem Mann verschleiern sollen?«
    »Ihres Vaters wegen vielleicht. Er sollte zwar ruhig wissen, was sie trieb, aber nicht mit wem. Er hat doch ihren Kalender bestimmt zu Gesicht bekommen. Er hat sie schließlich in ihrem Zimmer besucht. Und vielleicht wollte sie ihm den Namen verheimlichen.« Lynley wartete auf eine Erwiderung. Als Justine Weaver stumm blieb, sagte er: »In Elenas Schreibtisch haben wir mehrere Packungen mit der Pille gefunden. Sie hatte sie seit Februar nicht mehr genommen. Haben Sie dafür vielleicht eine Erklärung?«
    »Höchstens die nächstliegende: Sie wollte schwanger werden. Aber das wundert mich nicht. Das ist doch ganz normal. Man liebt einen Mann. Man möchte ein Kind von ihm.«
    »Sie und Ihr Mann haben keine Kinder, Mrs. Weaver?«
    Der plötzliche Themenwechsel, der ganz logisch an ihre eigene Bemerkung anknüpfte, schien ihr einen Moment den Atem zu rauben. Sie öffnete kurz die Lippen. Ihr Blick flog zu dem Hochzeitsfoto auf dem Beistelltisch. Sie schien sich noch gerader aufzurichten, ehe sie ruhig antwortete: »Nein, wir haben keine Kinder.«
    Er wartete. So oft in der Vergangenheit hatte sich bei dem Bemühen, der Wahrheit auf den Grund zu kommen, sein Schweigen als weit nützlicher erwiesen als die pointiertesten Fragen. Minuten verstrichen. Ein plötzlicher Windstoß warf einen Schwall Ahornblätter gegen die Fensterscheibe. Sie sahen aus wie eine aufgeblähte safrangelbe Wolke.
    Justine sagte:» Kann ich sonst noch etwas für Sie tun? « und strich sich mit der Hand über die tadellos gebügelte Hose.
    Er gab sich geschlagen. »Danke«, sagte er und stand auf. »Im Augenblick nicht.«
    Sie brachte ihn hinaus und reichte ihm seinen Mantel. Ihr Gesicht sah nicht anders aus als eine halbe Stunde vorher, als sie ihn eingelassen hatte. Er wollte staunen über dieses Maß an Selbstbeherrschung, doch statt dessen fragte er sich, ob es wirklich darum ging, Gefühle zu beherrschen, und nicht vielmehr darum, diese

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