05 - Denn bitter ist der Tod
hätte. Es war schwer genug für Thorsson, es hier in Cambridge zu dem Ruf zu bringen, den er jetzt genießt.«
»Weil er Schwede ist?«
»Auch eine Universität ist gegen Fremdenfeindlichkeit nicht immun, Inspector. Ich wage zu sagen, daß einem britischen Shakespeare-Spezialisten auf dem Weg nach oben nicht so viele Steine in den Weg gelegt worden wären. Noch dazu einem, der hier promoviert ist.«
»Aber in einem Mordfall, Dr. Cuff...«
»Warten Sie. Mir ist Thorsson nicht sonderlich sympathisch. Ich mag die Art nicht, wie er Frauen ansieht. Aber er ist ein solider - wenn auch zugegeben etwas extravaganter -Shakespeare-Kenner, der eine ordentliche Zukunft vor sich hat. Seinen Namen wegen eines Vorwurfs in den Schmutz zu ziehen, der völlig unbewiesen ist und bleiben muß, fand ich - und finde ich immer noch - ungerechtfertigt.« Cuff schob beide Hände wieder in seine Manteltaschen und blieb vor dem Pförtnerhaus von St. Stephen's stehen. Zwei Studenten kamen an ihnen vorbei, grüßten ihn, und er nickte kurz. Er sprach weiter, mit gesenkter Stimme, das Gesicht im Schatten, den Rücken zum Pförtnerhaus.
»Und es geht nicht nur um ihn. Es geht auch um Dr. Weaver. Wenn ich diese Sache durch eine Untersuchung an die Öffentlichkeit bringe, glauben Sie, daß Thorsson dann Rücksicht nehmen wird? Nein, er wird Elenas Namen genauso in den Schmutz ziehen, um sich zu verteidigen. Schließlich steht seine Karriere auf dem Spiel. Wer weiß, was für Geschichten er über sie erzählen würde - wie sie ihn verführen wollte; wie sie gekleidet war, wenn sie zum Tutorium zu ihm kam; was sie gesagt hat, und wie sie es sagte; was sie alles versuchte, um ihn zu verführen. Was glauben Sie, wie ihrem Vater zumute sein wird, wenn er sich das alles anhören muß, ohne daß Elena sich verteidigen kann? Er hat sie schon verloren. Wollen wir ihm auch noch das Bild der Erinnerung zerstören? Welchem Zweck würde das dienen?«
»Ich denke, Sie sollten lieber fragen, welchem Zweck es dient, es zu vertuschen. Ich könnte mir vorstellen, daß es für Sie recht schmeichelhaft wäre, wenn der neue Inhaber des Penford-Lehrstuhls ein Mitglied des St. Stephen's College wäre.«
Cuff sah ihn scharf an. »Das ist eine häßliche Unterstellung.«
»Mord ist auch häßlich, Dr. Cuff. Und Sie können schwerlich behaupten, daß ein Skandal um Elena Weaver den Berufsausschuß für den Penford-Lehrstuhl nicht veranlassen würde, sich anderswo umzusehen. Das wäre schließlich der einfachste Weg.«
»Der Ausschuß sucht nicht den einfachsten Weg. Er sucht den besten Kandidaten.«
»Und welche Kriterien beeinflussen seine Entscheidung?«
»Gewiß nicht das Benehmen der Kinder der Bewerber, Inspector, wie skandalös dieses Benehmen auch gewesen sein mag.«
Daß Cuff dieses Adjektiv gebrauchte, verriet Lynley einiges. »Sie glauben also nicht im Ernst daran, daß Thorsson sie belästigt hat. Sie glauben, sie hat sich diese Geschichte ausgedacht, weil er sie abgewiesen hat.«
»Das habe ich nicht gesagt. Ich sage lediglich, daß es nichts zu untersuchen gibt. Sein Wort steht gegen ihres, und sie kann uns nichts mehr sagen.«
»Hatten Sie mit Thorsson schon vor ihrem Tod über die Vorwürfe gesprochen?«
»Natürlich. Er bestritt alles.«
»Wie lauteten sie denn im einzelnen?«
»Er habe versucht, sie zu verführen, er habe sie berührt - an der Brust, am Gesäß, an den Oberschenkeln. Er habe ihr über sein Sexualleben mit einer Frau erzählt, mit der er einmal verlobt war, von den Schwierigkeiten, die sie mit der übermäßigen Größe seines Penis gehabt habe.«
Lynley zog eine Augenbraue hoch. »Wenn das alles ausgedacht ist, hatte die junge Dame eine blühende Phantasie, meinen Sie nicht?«
»Für heutige Verhältnisse? Gar nicht. Aber es spielt sowieso keine Rolle, weil nichts davon zu beweisen ist. Wenn nicht mindestens noch eine junge Frau ähnliche Anklagen gegen Thorsson erhebt, kann ich nichts weiter tun, als mit dem Mann zu sprechen und ihn zu warnen. Und das habe ich bereits getan.«
»Aber Sie haben diesen Vorwurf der sexuellen Belästigung nicht als Motiv für einen Mord gesehen? Stellen Sie sich vor, es hätten sich noch andere Mädchen gemeldet, nachdem bekannt geworden war, daß Elena ihn angezeigt hatte. Das wäre für Thorsson doch äußerst gefährlich gewesen.«
»Vorausgesetzt, es gibt solche anderen Mädchen, Inspector. Thorsson gehört seit zehn Jahren der Fakultät an, und nie gab es auch nur den Hauch eines
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