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05 - Denn bitter ist der Tod

05 - Denn bitter ist der Tod

Titel: 05 - Denn bitter ist der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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geht's um Männer. Schau dir's mal an.«
    »Was ist es?«
    »Schau's dir an.«
    Rosalyn richtete sich auf und nahm Melinda das Blatt aus der Hand. Ein Flugblatt. Dann sah sie den Namen unter dem grobkörnigen Foto: Elena Weaver, und das Wort »ermordet«.
    »Melinda, was ist das?« fragte sie erschrocken.
    »Das ist hier passiert, während du bei Mama und Papa in Oxford warst.«
    Rosalyn ließ sich in ihren alten Schaukelstuhl fallen. Sie starrte das Foto an, das Gesicht, das ihr so vertraut war, dieses Lachen, der angeschlagene Zahn, das lange fließende Haar. Elena Weaver. Ihre größte Rivalin. Sie konnte laufen wie der Wind.
    »Melinda, ich kenne sie«, sagte Rosalyn. »Sie ist im Hare and Hounds. Ich war schon bei ihr im Zimmer. Ich...«
    »Du hast sie gekannt, meinst du.« Melinda riß ihr das Blatt aus der Hand, knüllte es zusammen und warf es in den Papierkorb.
    »Wirf es doch nicht weg. Was ist passiert?«
    »Sie ist gestern morgen am Fluß gelaufen. Und in der Nähe von der Insel hat ihr jemand aufgelauert.«
    »In der Nähe von - Crusoe's Island?« Rosalyn stockte der Atem. »Melinda, das ist...« Eine fast vergessene Erinnerung berührte ihr Bewußtsein, verdichtete sich wie ein Schatten und nahm Form an. Langsam, noch unsicher sagte sie: »Melinda, ich muß die Polizei anrufen.«
    Melinda wurde blaß. »Die Insel!« rief sie in plötzlichem Begreifen.» Da hast du dieses Semester auch trainiert, nicht? Am Fluß. Genau wie dieses Mädchen. Rosalyn, versprich mir, daß du dort nicht mehr läufst. Schwör es mir, Rosalyn. Bitte.«
    Rosalyn hob ihre Umhängetasche vom Boden auf. »Komm mit«, sagte sie.
    Melinda rührte sich nicht. »Nein!« sagte sie. »Rosalyn, wenn du etwas gesehen hast - wenn du etwas weißt... Hör mir zu, das darfst du nicht tun. Rosalyn, wenn bekannt wird, daß du etwas gesehen hast, daß du etwas weißt... Bitte! Überleg doch erst mal, was dann passieren kann. Wir müssen uns das genau überlegen. Wenn du nämlich jemand gesehen hast, dann kann der Betreffende dich auch gesehen haben.«
    Rosalyn war schon an der Tür. Sie zog den Reißverschluß ihrer Jacke zu.
    »Rosalyn, bitte!« rief Melinda wieder. »Laß uns doch erst mal überlegen.«
    »Da gibt's nichts zu überlegen«, entgegnete Rosalyn. Sie öffnete die Tür. »Du kannst hierbleiben, wenn du willst. Ich bin gleich wieder da.«
    »Aber wohin willst du denn? Was willst du tun? Rosalyn!« Melinda rannte ihr verzweifelt nach.
    Nachdem Lynley vergeblich versucht hatte, Thorsson in seinem Zimmer im St. Stephan's College zu erreichen, fuhr er zu dessen Haus in der Nähe der Fulbourn Road hinaus, nicht gerade eine Gegend, die Thorssons Rebellen- und Marxistenimage entsprach. Das schmucke Klinkerhaus mit den weißen Fensterrahmen gehörte zu einer relativ neuen Siedlung hübscher Stadtrandhäuser. Schmutzige Hinterhöfe und Kinder, die grölend auf der Straße spielten, wie Lynley das bei Thorssons Lebensphilosophie eigentlich erwartet hätte, gab es nicht; dafür gepflegte Rasenflächen, eingezäunte Gärten und Mittelklasseautos vor den Garagen.
    Thorssons Haus am Ende einer Sackgasse stand dem Nachbarhaus direkt gegenüber. Jeder, der vorn zum Fenster hinaussah - ob unten oder oben - hatte Thorsson genau im Auge. Es war daher nicht anzunehmen, daß der Nachbar sich getäuscht hatte, als er behauptet hatte, Thorsson sei am Montag morgen um sieben nach Hause gekommen.
    Soweit von der Straße zu sehen war, brannte in Thorssons Haus kein Licht. Dennoch läutete Lynley mehrmals. Er hörte das Bimmeln hinter der geschlossenen Tür, aber nichts rührte sich. Er trat ein paar Schritte zurück und blickte zu den oberen Fenstern hinauf. Sie blieben dunkel.
    Er kehrte zu seinem Wagen zurück und blieb einen Moment nachdenklich hinter dem Steuer sitzen, während er die umliegenden Häuser betrachtete. Er dachte an all die jungen Leute, die wie gebannt an Thorssons Lippen hingen, wenn der seine ganz persönliche Deutung von Shakespeares Dramen zum besten gab und dabei eine Literatur, die mehr als vierhundert Jahre alt war, dazu gebrauchte, eine politische Einstellung zu propagieren, die vermutlich im Grunde nichts anderes war als eine Maske, hinter der sich seine eigene Nichtigkeit verbarg. Unbestreitbar jedoch präsentierte Thorsson seinen Stoff auf sehr verführerische Weise. Das hatte Lynley in der kurzen Zeit, da er der Vorlesung beigewohnt hatte, bemerkt. Der Mann wirkte überzeugend, seine Argumentation war intelligent, seine Art

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