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05 - Der Conquistador

05 - Der Conquistador

Titel: 05 - Der Conquistador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Weinland
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Brocken seiner Muttersprache beizubringen versuchte, unterrichtete sie ihn zunehmend sicherer in ihrem Idiom. Schnell wurden einfache Unterhaltungen möglich. Und nachdem sich Diego de Landa einen Grundwortschatz angeeignet hatte, fiel ihm das Erlernen auch komplizierterer Stoffe so leicht, dass niemand mehr darüber erstaunt war als er selbst.
    Er fragte Chel – so lautete der Name seiner Lehrerin – nach dem Schicksal seiner Mitgefangenen.
    »Sie wurden nicht alle den Göttern geopfert«, erfuhr er. »Einige wurden in andere Städte verkauft oder verschenkt.«
    Einzelheiten erzählte Chel zunächst nicht. Zumindest war Diego nicht in der Lage, sie zu verstehen.
    »Warum lebe ich noch?«, fragte er.
    »Weil es den Göttern gefällt«, antwortete sie. »Weil du den Göttern gefällst.« In ihren dunklen Augen blitzte es kurz auf.
    Diego errötete. Doch dann dachte er wie so oft an Juan und was die Wilden ihm angetan hatten, und sein Herz verhärtete sich.
    Irgendwann in den Tagen danach lernte er den Anführer des Stammes kennen. Sein Name war Xoc.
    Xoc empfing ihn in einem Haus, dessen Innenwände mit Schriftsymbolen übersät waren. Genau wie Xoc selbst. Die Zeichen auf der Haut des sehnigen Mannes waren nicht nur aufgemalt, sondern nach dem Brauch seines Volkes mit Nadeln in die Haut hineingestochen.
    Selbst nach Monaten hatte Diego nie die Angst verloren, eines Tages als Blutopfer der Einheimischen zu enden. Kaum eine Nacht, in der er nicht schweißgebadet aus dem Schlaf schreckte und geträumt hatte, dass ihm das Herz bei lebendigem Leib herausgeschnitten und Göttern geweiht wurde, von denen er viele inzwischen namentlich kannte. Bolontiku etwa, den Gott der Unterwelt. Oder die Schöpfungsgötter Bitol, Cacoch, Camaxtli, Hunab Ku, Kan-xib-yui, Nohochacyum, Qaholom und Tepeu.
    Die Vielzahl der Gottheiten, die das Naturvolk verehrte, hatte Diego de Landa zunächst nur Verachtung entlockt, stand es doch außer Zweifel für ihn, dass es nur einen Gott gab. Doch mit der Zeit hatte er einsehen müssen, dass diese Menschen nicht annähernd so »primitiv« waren, wie es auf den ersten Blick den Anschein gehabt hatte.
    Im Gegenteil: Ihre Errungenschaften nötigten ihm mehr und mehr Respekt ab. Den Eindruck von Wilden vermittelten sie nur ganz zu Beginn. Tatsächlich aber waren ihre grausamen Rituale nur eine winzige Facette ihrer Kultur. Zu den beeindruckenden Leistungen dieses Volkes gehörten seine imposante Architektur, ein ausgeprägtes Kunsthandwerk, Malerei, beste Kenntnisse in Metallverarbeitung – vornehmlich Gold, Silber und Kupfer – und Astronomie. Großen Eindruck hinterließ in Diego auch ihr faszinierendes Kalendersystem, das sich zwar völlig von dem der zivilisierten Welt unterschied, aber nichtsdestotrotz eine mathematische Glanzleistung darstellte.
    Mittlerweile hatte eine nie für möglich gehaltene Toleranz in ihm Einzug gehalten. Fernab der Werte, die ihm von Geburt an eingebläut worden waren, lernte er unter widrigen Bedingungen, eine andere Denk-, Lebens- und Glaubensweise zu akzeptieren.
    Was nicht hieß, dass er dem eigenen Glauben abschwor. Es war ein Balanceakt.
    Dem Stammesführer schien dies nicht verborgen zu bleiben. Wohl auch, weil Chel ihm gewiss regelmäßig Bericht erstattete.
    »Setz dich«, bot er Diego einen Platz auf dem Teppich vor seinem hölzernen Stuhl an, der wie ein schlichter Thron wirkte.
    Manches scheint universell zu sein , dachte Diego de Landa und hockte sich zu Füßen des Kaziken.
    »Wir haben noch nie miteinander gesprochen«, sagte Xoc.
    »Nein«, pflichtete der Mönch bei.
    »Du beherrschst unsere Sprache nun gut genug.« Diego fühlte sich von den Blicken des Stammesführers regelrecht seziert. »Ich habe gewartet, bis du in der Lage bist, dich zu verständigen. Diese Geduld hatte ich nur mit dir. Und weißt du, warum?«
    Diego schüttelte den Kopf. »Nein.«
    »Du bist ein Liebling der Götter.«
    Diego zuckte leicht zusammen, weil Xoc ganz klar von den Göttern der Einheimischen sprach, nicht von dem seinen. »Warum glaubt Ihr das?«
    »Du hast die Prüfung bestanden.«
    »Prüfung?«
    »Deine Verletzung. Ohne die Hilfe eines Heilkundigen hätte kein Krieger diese Wunde überlebt. Du aber lebst.«
    Diego nahm allen Mut zusammen und fragte: »Dann werde ich auch weiterhin leben? Ihr habt nicht vor, mich euren Göttern zu weihen?«
    Xocs Augen weiteten sich. »Das wäre dumm«, stieß er hervor. »Niemand erzürnt leichtfertig die Götter. Sie haben dir dein

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