05 - Der Kardinal im Kreml
Dank, daß ich mein Knie verbinden durfte.»
«Von Golowko höre ich, daß wir mit der Verletzung nichts zu tun
hatten. Stimmt das?»
«Jawohl, Sir. Daran bin ich selbst schuld. Niemand hat mich mißhandelt.»
Narmonow musterte ihn eine halbe Minute lang neugierig und
sprach dann.
«Ich hatte Ihre Hilfe nicht nötig.»
«Ich weiß nicht genau, wovon Sie sprechen, Sir», log Ryan.
«Glaubten Sie wirklich, Gerasimow könne mich stürzen?»
«Sir, ich verstehe nicht. Ich hatte lediglich den Auftrag, das Leben
eines unserer Agenten zu retten. Um das zu erreichen, mußten wir den
Vorsitzenden Gerasimow in Mißkredit bringen. Es war nur eine Frage
des Angelns mit dem richtigen Köder.»
«Nach dem richtigen Fisch», kommentierte Narmonow, dessen
Miene nicht zu seinem amüsierten Ton passen wollte. «Und Oberst
Filitow war Ihr Agent?»
«Jawohl, Sir.»
«Das habe ich gerade erst erfahren.»
Dann wissen Sie, daß auch Jasow unter Druck stand. Wie knapp war das wohl,
Genosse Generalsekretär? Ryan verkniff sich die Frage, auf die
vermutlich auch Narmonow keine Antwort wußte.
«Wissen Sie, weshalb er zum Verräter wurde?»
«Nein. Ich erfuhr nur, was ich unbedingt wissen mußte.»
«Über den Angriff auf unser Projekt Heller Stern sind Sie dann wohl
auch nicht informiert?»
«Wie bitte?» Man sah Jack die Überraschung an.
«Ryan, verkaufen Sie mich nicht für dumm. Der Name ist Ihnen ein
Begriff.»
«Ich kenne die Anlage; sie liegt südlich von Duschanbe. Ist sie angegriffen worden?»
«Hab ich's doch gewußt. Jawohl, das war eine Kriegshandlung»,
merkte Narmonow an.
«Sir, vor einigen Tagen entführten KGB-Offiziere einen amerikanischen SDI-Wissenschaftler. Der Befehl kam von Gerasimow persönlich.
Der Entführte, Major Alan Gregory, wurde befreit.»
«Das glaube ich nicht», sagte Golowko, ehe er übersetzte. Narmonow
ärgerte sich über die Unterbrechung, doch dann setzte die Schockwirkung von Ryans Erklärung ein.
«Einer Ihrer Agenten wurde festgenommen und lebt. Es ist wirklich
wahr, Sir», versicherte Ryan.
Narmonow schüttelte den Kopf, stand auf und warf ein Scheit aufs
Feuer. «Der pure Wahnsinn», sagte er zum Kamin gewandt. «Die Lage
ist doch durchaus zufriedenstellend.»
«Das verstehe ich nicht ganz», meinte Ryan.
«Auf der Welt herrscht Stabilität, oder? Trotzdem arbeitet Ihr Land
auf eine Veränderung hin und zwingt uns zu ähnlichen Maßnahmen.»
Daß die ABM-Anlage bei Sari Schagan seit über dreißig Jahren in Betrieb
war, tat hier im Augenblick nichts zur Sache.
«Ist denn die Fähigkeit, jede Stadt, jedes Haus in meinem Land zu
verbrennen wie diese Scheite hier -»
«Das gilt auch für mein Land, Ryan», sagte Narmonow.
«Jawohl - für Ihres und eine Reihe anderer Länder. Sie können so gut
wie jeden Zivilisten in meinem Land töten; wir sind in der Lage, alle Ihre
Bürger hinzuschlachten, binnen sechzig Minuten. Und das bezeichnen
wir als Stabilität?»
«Es ist Stabilität, Ryan», sagte Narmonow.
«Nein, Sir, es ist der kodifizierte Wahnsinn, wie ihn die Formel MAD
- Mutually Assured Destruction, die sichere Vernichtung beider Seiten,
ausdrückt.»
«Bislang hat es aber funktioniert, oder?»
«Sir, ist es denn ein Zeichen von Stabilität, wenn mehrere hundert Millionen Menschen eine knappe Stunde vom Tod entfernt sind? Ist das
nicht rückschrittlich?»
«Doch wenn wir unsere Kernwaffen niemals einsetzen?»
«Es besteht aber die Gefahr, daß jemand einen Fehler macht. Bis man
den bemerkt, kann es für uns alle schon zu spät sein. Diese verdammten
Raketen sind viel zu einfach zu bedienen. Man drückt auf den Knopf, sie
fliegen los, und dann explodieren sie auch wahrscheinlich, weil nichts sie
aufhalten kann. Solange ihnen nichts im Weg steht, sind sie zu gefährlich.»
«Seien Sie doch realistisch, Ryan. Glauben Sie denn im Ernst, daß
Atomwaffen jemals abgeschafft werden können?» fragte Narmonow. «Nein, alle werden wir nie los, das weiß ich. Es wird uns immer die
Fähigkeit bleiben, einander schwere Verluste zuzufügen, aber wir können diese Option komplizieren. Geben wir allen einen Grund mehr,
nicht auf den Knopf zu drücken. Das ist nicht destabilisierend, Sir,
sondern nur vernünftig.»
«Sie klingen wie Ihr Präsident.» Das wurde von einem Lächeln begleitet.
«Der Mann hat recht.» Ryan lächelte zurück.
«Schlimm genug, daß ich mich mit einem Amerikaner herumstreiten
muß. Lassen wir die Diskussion. Was haben Sie mit Gerasimow vor?»
fragte der Generalsekretär.
«Aus
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