05 - Der Kardinal im Kreml
einander nie wieder. Die Vernehmungen nahmen Wochen in Anspruch und wurden an verschiedenen Orten durchgeführt. Filitow kam nach Camp Peary in Virginia, wo er einem jungen Major mit Brille erzählte, was er von dem Durchbruch bei der Laserleitung im Gedächtnis behalten hatte. Der alte Mann fand es seltsam, daß dieser Junge Dinge, die er sich gemerkt, aber nie richtig verstanden hatte, so aufregend fand. Dann befragte man ihn ausgiebig über seine zweite Karriere als Spion. Eine ganze Generation von Agenten kam ihn besuchen, um mit ihm zu essen und spazierenzugehen, von den Trinkgelagen, die sich KARDINAL auch von den Ärzten nicht verbieten ließ, ganz zu schweigen. Seine Unterkunft wurde streng bewacht und sogar abgehört. Seine Bewacher wußten, daß er im Schlaf sprach.
Ein CIA-Offizier, der kurz vor der Pensionierung stand, sah von seiner Zeitung auf, als es wieder losging. Alle seine Freunde sind tot, und er trifft sie nur noch im Traum. Das Gemurmel verstummte, und der Babysitter des KARDINALs las weiter.
Generalmajor Grigori Dalmatow hatte als Militärattache an der Sowjetbotschaft in Washington Repräsentationspflichten, die im Konflikt mit seinem Hauptauftrag, dem Sammeln von Nachrichten nämlich, standen. So war er etwas verärgert, als man ihn aus dem Pentagon anrief und ersuchte, im Verteidigungsministerium zu erscheinen - und in voller Uniform dazu.
General Ben Crofter, Stabschef der US Army, empfing ihn und schritt mit ihm zum Hubschrauberlandeplatz des Pentagons, wo sie zu Dalmatows Erstaunen einen Helikopter der Marine bestiegen und nach Camp David flogen. Marinesoldaten in Paradeuniform standen stramm, als sie ausstiegen, und eskortierten sie in den Wald. Wenige Minuten darauf erreichten sie eine Lichtung. Dalmatow hatte nicht gewußt, daß hier Birken standen. Sie befanden sich über einer Hügelkuppe, von der aus man einen weiten Blick übers Land hatte.
Und im Boden war ein rechteckiges Loch, genau sechs Fuß tief. Seltsamerweise fehlte ein Grabstein, und der Rasen war sorgfältig ausgestochen und aufgeschichtet worden, um wieder zurückgelegt zu werden.
In der Umgebung konnte Dalmatow am Waldrand weitere Marineinfanteristen ausmachen, die Tarnanzüge und Pistolengürtel trugen. Dann erschien ein Jeep. Zwei Marines in Paradeuniform stiegen aus und bauten rund um das Loch ein Gestell auf. Nun kam ein leichter Lkw aus dem Wald, gefolgt von weiteren Jeeps. Auf der Ladefläche des Lkw lag ein Sarg aus poliertem Eichenholz. Kurz vor dem Loch hielt der Lkw an. Eine Ehrengarde trat an.
«Darf ich fragen, warum ich hier bin?» fragte Dalmatow, als er es nicht mehr aushielt.
«Sie waren bei den Panzern, nicht wahr?»
«Jawohl, General Crofter, wie Sie auch.»
«Da haben Sie Ihren Grund.»
Die sechsköpfige Ehrengarde hob den Sarg auf das Gestell. Ein Sergeant entfernte den Deckel. Crofter ging näher. Dalmatow schaute in den Sarg und fuhr zusammen.
«Mischa!»
«Ich dachte mir, daß Sie ihn kennen», sagte eine neue Stimme. Dalmatow wirbelte herum.
«Sie sind Ryan.» Anwesend waren unter anderem auch Ritter von der CIA und General Parks.
«Jawohl, Sir.»
Der Russe wies auf den Sarg. «Woher... wie kommen Sie -»
«Ich komme gerade aus Moskau. Der Generalsekretär war so freundlich, mir die Uniform und die Auszeichnungen des Obersten zu geben, und meinte, er zöge es vor, ihn als Kriegshelden in Erinnerung zu behalten. Wir hoffen, Sie werden Ihrem Volk mitteilen, daß Oberst Michail Semjonowitsch Filitow, dreifacher Held der Sowjetunion, friedlich im Schlaf gestorben ist.»
Dalmatow wurde rot. «Er hat sein Land verraten. Ich denke nicht daran, hier zu stehen und -»
«General», sagte Ryan scharf, «ich muß wohl klarstellen, daß Ihr Generalsekretär anderer Auffassung ist. Es kann gut sein, daß dieser Mann für Ihr - und unser - Land eine große Heldentat vollbracht hat. Sagen Sie, General, an wie vielen Schlachten haben Sie teilgenommen? Wie viele Wunden haben Sie für Ihr Land empfangen? Können Sie es wagen, diesen Mann einen Verräter zu nennen?» Ryan machte eine Geste zu dem Sergeant hin, der den Sarg schloß. Ein anderer Marineinfanterist legte eine sowjetische Flagge darüber. Am Kopfende des Grabes nahmen Schützen Aufstellung. Ryan zog ein Papier hervor und verlas Mischas Tapferkeitsauszeichnungen. Die Schützen schossen Salut. Ein Trompeter blies den Zapfenstreich.
Dalmatow nahm Haltung an und salutierte. Ryan fand es schade, daß die Zeremonie geheim bleiben mußte, aber sie war in
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