05 - Der Schatz im Silbersee
Blei allein. Aber so sehr ängstlich wie Ihr, wäre ich an Eurer Stelle denn doch nicht gewesen. Ich glaube, Ihr habt Euch ein wenig ins Bockshorn jagen lassen.“
„O nein; die Sache war wirklich gefährlich.“
„So seid Ihr überzeugt, daß man Euch verfolgt hat?“
„Gewiß! Darum habe ich bisher alle Farmen vermieden, damit man nicht erfahren soll, wohin ich mich gewendet habe.“
„Und seid Ihr überzeugt, daß Ihr in Sheridan gut aufgenommen werdet und eine Stelle erhaltet?“
„Ja, denn Mr. Norton und Mr. Charoy, der Ingenieur in Sheridan, sind außerordentlich befreundet.“
„Nun, welches Gehalt gedenkt Ihr dort zu beziehen?“
„Ich hatte jetzt wöchentlich acht Dollar und meine, daß man mich dort ebenso bezahlen wird.“
„So! Ich weiß eine Anstellung mit noch einmal so viel, also sechzehn Dollar und freie Station für Euch.“
„Was? Wirklich?“ rief der Schreiber erfreut, indem er aufsprang. „Sechzehn Dollar? Das ist ja geradezu zum Reichwerden!“
„Wenn auch das nicht; aber sparen könntet Ihr Euch etwas dabei.“
„Wo ist diese Stelle zu haben? Bei wem?“
„Bei mir.“
„Bei – – – Euch?“ erklang es im Ton der Enttäuschung.
„Allerdings. Wahrscheinlich traut Ihr mir das nicht zu?“
„Hm! Ich kenne Euch nicht.“
„Dem kann gleich abgeholfen werden. Ich bin nämlich Magister Doktor Jefferson Hartley, Physician und Farrier meines Berufes.“
„Also Menschen- und Roßarzt?“
„Arzt für Menschen und Tiere“, nickte der Yankee. „Habt Ihr Lust, so sollt Ihr mein Famulus sein, und ich zahle Euch das erwähnte Gehalt.“
„Aber ich verstehe nichts von der Sache“, erklärte Haller bescheiden.
„Ich auch nicht“, gestand der Magister.
„Nicht?“ frage der andre erstaunt. „Ihr müßt doch Medizin studiert haben?“
„Fällt mir gar nicht ein!“
„Aber, wenn Ihr Magister und auch Doktor seid –!“
„Das bin ich allerdings! Diese Titel und Würden besitze ich; das weiß ich am allerbesten, denn ich selbst habe sie mir verliehen.“
„Ihr – Ihr selbst?“
„Freilich! Ich bin offen gegen Euch, weil ich denke, daß Ihr meinen Antrag annehmen werdet. Eigentlich bin ich Schneider; dann wurde ich Friseur, nachher Tanzlehrer; später gründete ich ein Erziehungsinstitut für junge Ladies; als das aufhörte, griff ich zur Ziehharmonika und wurde wandernder Musikant. Seitdem habe ich mich noch in zehn bis zwanzig andern Branchen rühmlichst hervorgetan. Ich habe das Leben und die Menschen kennengelernt, und diese Kenntnis gipfelt in der Erfahrung, daß ein gescheiter Kerl kein Dummkopf sein darf. Diese Menschen wollen betrogen sein; ja, man tut ihnen den größten Gefallen, und sie sind außerordentlich erkenntlich dafür, wenn man ihnen ein X für ein U vormacht. Besonders muß man ihren Fehlern schmeicheln, ihren geistigen und leiblichen Fehlern und Gebrechen, und darum habe ich mich auf diese letzteren gelegt und bin Arzt geworden. Hier seht Euch einmal meine Apotheke an!“
Er schloß den Kasten auf und schlug den Deckel desselben zurück. Das Innere hatte ein höchst elegantes Aussehen; es bestand aus fünfzig Fächern, welche mit Sammet ausgeschlagen und mit goldenen Linien und Arabesken verziert waren. Jedes Fach enthielt eine Phiole mit einer schön gefärbten Flüssigkeit. Es gab da Farben in allen möglichen Schattierungen und Abstufungen.
„Das also ist Eure Apotheke!“ meinte Haller. „Woher bezieht Ihr die Medikamente?“
„Die mache ich mir selbst.“
„Ich denke, Ihr versteht nichts davon!“
„O, das verstehe ich schon! Es ist ja kinderleicht. Was Ihr da seht, ist alles weiter nichts als ein klein wenig Farbe und ein bißchen viel Wasser, Aqua genannt. In diesem Wort besteht mein ganzes Latein. Dazu habe ich mir die übrigen Ausdrücke selbst fabriziert; sie müssen möglichst schön klingen. Und so seht Ihr hier Aufschriften wie: Aqua salamandra, Aqua peloponnesia, Aqua chimborassolaria, Aqua invocabulataria und andre. Ich glaubt gar nicht, welche Kuren ich mit diesen Wassern schon gemacht habe, und ich nehme Euch das gar nicht übel, denn ich glaube es selbst auch nicht. Die Hauptsache ist, daß man die Wirkung nicht abwartet, sondern das Honorar einzieht und sich aus dem Staub macht. Die Vereinigten Staaten sind groß, und ehe ich da herumkomme, können viele, viele Jahre vergehen, und ich bin inzwischen ein reicher Mann geworden. Das Leben kostet nichts, denn überall, wohin ich komme, setzt man mir mehr
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