05 - Der Schatz im Silbersee
achtungsvolle Haltung dies vermuten.
Hartley erzählte, als alle sich wieder gesetzt hatten, seine gestrigen Erlebnisse. Als er zu Ende war, berichtete Old Firehand, wenn auch möglichst kurz, sein Zusammentreffen mit dem roten Cornel auf dem Steamer, bei den Rafters und zuletzt auf Butlers Farm. Dann ließ er sich den Anführer der drei beschreiben, denjenigen, welcher den Schreiber niedergeschossen und sich dann von den beiden andern getrennt hatte. Als es dem Yankee gelungen war, ein möglichst genaues Bild dieser Person zu liefern, sagte der Jäger: „Ich wette, daß es der Cornel war. Er hat sich die Haare dunkel gefärbt. Hoffentlich läuft er mir endlich in die Hände!“
„Dann sollen ihm solche Streiche wohl vergehen!“ zürnte der Ingenieur. „Über zweihundert Tramps! Welch ein Morden, Sengen und Brennen wäre das gewesen! Mesch'schurs, ihr seid unsre Retter, und ich weiß nicht, wie ich euch danken soll! Dieser Cornel muß es auf irgendeine Weise erfahren haben, daß ich die Gelder für eine lange Strecke beziehe und sie dann unter meine Kollegen zur Auszahlung zu verteilen habe. Nun ich gewarnt bin, mag er mit seinen Tramps kommen; wir werden gerüstet sein.“
„Dünkt Euch nicht allzu sicher!“ warnte Old Firehand. „Zweihundert desperate Kerle haben immer etwas zu bedeuten!“
„Mag sein; aber ich kann in einigen Stunden tausend Bahnarbeiter beisammen haben.“
„Die gut bewaffnet sind?“
„Jeder hat irgendeine Schießwaffe. Schließlich tun es die Messer, die Spaten und Schaufeln auch.“
„Spaten und Schaufeln gegen zweihundert Flinten? Das würde ein Blutvergießen ergeben, welches ich nicht zu verantworten haben möchte.“
„Nun so bekomme ich von Fort Wallace recht gern bis an die hundert Soldaten geschickt.“
„Euer Mut ist lobenswert, Sir; aber List ist da stets besser als Gewalt. Wenn ich den Feind durch List unschädlich machen kann, warum soll ich da so viele Menschenleben opfern?“
„Welche List meint Ihr, Sir? Ich will ja gern tun, was Ihr mir ratet. Ihr seid ein ganz andrer Kerl, als ich bin, und wenn Ihr zufrieden seid, so bin ich sofort bereit, Euch das Kommando über diesen Platz und meine Leute abzutreten.“
„Nicht so schnell, Sir! Wir müssen überlegen. Zunächst dürfen die Tramps nicht ahnen, daß Ihr gewarnt seid. Sie dürfen also nicht wissen, daß wir uns hier befinden. Auch unsre Pferde dürfen sie nicht sehen. Gibt es kein Versteck für die Tiere?“
„Die kann ich gleich verschwinden lassen, Sir.“
„Aber so, daß wir sie leicht zur Hand haben?“
„Ja, glücklicherweise seid Ihr so zeitig am Tag gekommen, daß Ihr von den Arbeitern nicht gesehen wurdet. Von ihnen könnten es die Kundschafter erfahren. Mein Neger, welcher treu und verschwiegen ist, wird die Pferde verstecken und versorgen.“
„Gut, gebt ihm den Befehl dazu! Und Ihr selbst müßt Euch dieses Master Hartley annehmen. Gebt ihm ein Bett, daß er sich niederlegen kann. Aber kein Mensch darf von seiner Anwesenheit etwas wissen, kein Mensch außer Euch, dem Neger und dem Arzt; denn ein Doktor ist doch wohl vorhanden?“
„Jawohl. Ich werde ihn sofort kommen lassen.“
Er entfernte sich mit dem Yankee, welcher ihm recht gern folgte, da er sich nun sehr ermüdet fühlte. Als der Ingenieur nach einiger Zeit zurückkehrte, um zu sagen, daß sowohl der Verwundete als auch die Pferde gut versorgt seien, meinte Old Firehand: „Ich wollte alle Beratung in Gegenwart dieses Arzneischwindlers vermeiden, denn ich traue ihm nicht. Es gibt in seiner Erzählung einen dunklen Punkt. Ich bin überzeugt, daß er den armen Schreiber mit Absicht in den Tod geschickt hat, um sich selbst zu retten. Mit solchen Menschen mag ich nichts zu tun haben. Jetzt sind wir unter uns und wissen genau, daß jeder sich auf den andern verlassen kann.“
„So wollt Ihr uns wohl einen Plan mitteilen?“ fragte der Ingenieur wißbegierig.
„Nein. Einen Plan können wir erst dann entwerfen, wenn wir denjenigen der Tramps kennengelernt haben, und das wird nicht eher der Fall sein, als bis die Kundschafter hier eingetroffen sind und mit Euch gesprochen haben.“
„Das ist richtig. Wir müssen uns also einstweilen in Geduld fassen.“
Da hob Winnetou die Hand zum Zeichen, daß er einer andern Ansicht sei und sagte: „Jeder Krieger kann auf zweierlei Weise kämpfen; er kann angreifen oder sich verteidigen. Wenn Winnetou nicht weiß, wie und ob er sich verteidigen kann, so greift er lieber an. Das ist
Weitere Kostenlose Bücher