05 - Der Schatz im Silbersee
Qualen erdulden!“ zürnte der Häuptling. „Wir schneiden ihnen das Leder in Streifen vom Leib. Sie alle sollen eines schauderhaften Todes sterben, und nicht einer von ihnen wird die Sterne des morgendlichen Abends schauen! Nehmt die Toten, die Pferde und die Waffen der Bleichgesichter. Wir müssen zurückkehren.“
„Wer soll die Wunderbüchse des weißen Jägers anrühren?“ fragte einer. „Sie geht von selber los und tötet denjenigen, welcher sie angreift, und noch viele andre dazu.“
„Wir lassen sie liegen und errichten auf ihr einen Steinhaufen, damit kein roter Mann die Hand an sie legt. Wo ist sie?“
Man suchte nach ihr, ohne sie zu finden; sie war verschwunden. Als der ‚Große Wolf‘ Old Shatterhand nach ihr fragte, gab dieser keine Antwort. Als er vorhin im Kampfgewühl erwacht und aufgesprungen war, hatte man ihm den Stutzen aus der Hand gerissen und fortgeschleudert. Der Häuptling ließ Feuerbrände nehmen, um das klare, durchsichtige Wasser des Baches zu beleuchten. Derselbe war so seicht, daß man jedes auf seinem Grund liegende Steinchen erkennen konnte, aber der Stutzen wurde nicht gesehen.
Die Yampa-Utahs hatten das Gewehr am Tag in den Händen Old Shatterhands gesehen und konnten das Verschwinden desselben nicht begreifen. Vielleicht lag es in der Felsenspalte. Man untersuchte diese eine weite Strecke hinein, natürlich mit Hilfe von Bränden, doch auch vergeblich. Die Folge war, daß selbst die Roten, welche bisher noch gezweifelt hatten, daß das Gewehr Old Shatterhands übernatürliche Eigenschaften besitze, sich jetzt der Meinung der andern anschlossen. Die Zauberbüchse konnte, solange man hier verweilte, ihre unbegreiflichen Kräfte zur Geltung bringen, darum gebot der ‚Große Wolf‘, welchem es selbst unheimlich wurde: „Bindet die Gefangenen an die Pferde, und dann fort von hier! Ein böser Geist hat das Zaubergewehr verfertigt. Wir dürfen nicht hier bleiben, bis es uns seine Kugeln sendet.“
Diesem Befehl wurde augenblicklich Folge geleistet, und als die Roten aufbrachen, war seit dem Beginn des Kampfes nicht viel über eine Stunde vergangen.
„Nicht einer von ihnen wird die Sterne des morgigen Abends schauen“, hatte der Häuptling gesagt. Er glaubte, daß alle Weißen in seine Hände geraten seien, und doch war dies nicht der Fall. Es wurde bereits gesagt, daß Old Firehand einen Wachtposten in den Felsenspalt beordert habe, um einen Überfall durch die etwa zurückkehrenden Yampa-Utahs zu verhüten. Dieser Posten war – Droll, welcher erst nach zwei Stunden abgelöst werden sollte. Der Hobble-Frank hatte sich ihm freiwillig angeschlossen, um mit ihm von der lieben Heimat zu plaudern. Sie saßen, natürlich mit allen ihren Waffen versehen, in tiefer Finsternis, unterhielten sich flüsternd und lauschten zuweilen in den Felsenriß zurück, ob sich dort etwas hören lasse. Sie fühlten nicht die mindeste Müdigkeit, und es gab so viel zu erzählen, daß ihnen der Stoff gar nicht ausgehen konnte.
Da plötzlich hörten sie am Ausgang des Spaltes ein Geräusch, welches sehr geeignet war, ihre Aufmerksamkeit zu erregen.
„Horch!“ flüsterte Frank dem ‚Vetter‘ zu. „Hast du was gehört?“
„Ja, ich hab's gehört“, antwortete die Tante ebenso leise. „Was is das gewesen?“
„Es müssen mehrere von unsern Leuten offgeschtanden sein.“
„Nee, das is es nich. Das müsse viele, viele Menschen sein. Das is ee Fußgeschtrampel von wenigstens zweehundert –“
Er hielt erschrocken inne, denn jetzt waren die Überfallenen erwacht und erhoben ihre Stimme.
„Donner und's Messer, das is Kampf!“ fuhr der Hobble-Frank auf. „Ich gloobe, wir sind mehrschtenteels überfallen worden!“
„Ja, überfalle sind wir worde!“ stimmte Droll bei. „Das müsse rote Halunke sein, wenn's nötig is!“
Der nächste Augenblick bewies, daß diese Vermutung die richtige war, denn es erscholl das Kampfgeheul der Indianer.
„Gott schteh uns bei; sie sind's wirklich!“ rief Frank. „Droff, off sie! Komm rasch hinaus!“
Er ergriff den Arm Drolls, um ihn mit sich fortzuziehen; aber dieser wegen seiner Pfiffigkeit bekannte Jäger hielt ihn zurück und sagte, vor Aufregung allerdings beinahe zitternd:
„Bleib da! Nich so schnell hinaus! Wenn die Indianersch itzt bei Nacht eenen Überfall unternehme, so sind ihrer so viele beisamme, daß mer so vorsichtig wie möglich zu sein hat. Wolle erscht sehe, wie de Sache schteht. Nachher wisse mer, was mer zu mache habe.
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