05 - Der Schatz im Silbersee
sich. Auf diese Weise band man die Tiere an und wendete sich dann im Gänsemarsch dem Wald zu.
Der Rote schritt voran. Sein Fuß berührte den Boden so leise, daß das Ohr nichts davon zu vernehmen vermochte. Der Lord, welcher ihm folgte, gab sich Mühe, ebenso unhörbar zu gehen. Es war rundum nichts zu vernehmen als der leise Wind, welcher die Wipfel der Bäume bewegte.
Jetzt ergriff der Osage die rechte Hand des Engländers und flüsterte ihm zu: „Mein weißer Bruder gebe seine andre Hand weiter, damit die drei Bleichgesichter eine Kette bilden, welche ich führe, damit sich keiner an einem Baum stoße.“
Während er mit der ausgestreckten einen Hand sich vorwärtstastete, zog er mit der andern die Weißen hinter sich her. Dem Lord wurde die Zeit sehr lang, denn in solchen Lagen dehnen die Minuten sich zu Stunden aus. Endlich blieb der Häuptling stehen und flüsterte: „Meine Brüder mögen lauschen. Ich habe die Stimmen der Tramps vernommen.“
Sie horchten und bemerkten bald, daß der Rote sich nicht geirrt hatte. Man hörte sprechen, wenn auch aus weiter Ferne, so daß die Worte nicht verstanden werden konnten. Nach wenigen Schritten gewahrte man einen leisen Dämmerschein, welcher es dem Auge ermöglichte, die Baumstämme zu unterscheiden.
„Meine Brüder mögen hier warten, bis ich zurückkehre“, sagte der Osage.
Kaum gesagt, huschte der Rote schon fort und war im nächsten Augenblick verschwunden. Es war wohl über eine halbe Stunde vergangen, als er zurückkehrte. Sie hatten sein Kommen weder gesehen noch gehört; er tauchte plötzlich vor ihnen, wie aus der Erde, auf.
„Nun?“ fragte Bill. „Was hast du uns zu melden?“
„Daß noch mehr Tramps gekommen sind, noch viel mehr.“
„Wetter! Ob diese Kerls vielleicht hier ein Meeting abzuhalten gedenken? Dann wehe den Farmern und sonstigen Leuten, welche in der Gegend wohnen. Hast du gehört, was gesprochen wurde?“
„Es brannten mehrere Feuer, und der ganze Platz war hell. Die Tramps hatten einen Kreis gebildet, in welchem ein Bleichgesicht mit roten Haaren stand und eine lange und sehr laute Rede hielt.“
„Wovon sprach er? Hast du ihn verstanden?“
„Ich verstand ihn ganz genau, denn er sprach beinahe brüllend; aber meine Aufmerksamkeit war darauf gerichtet, meine roten Brüder zu entdecken, und so habe ich nur sehr wenig von dem, was er sprach, behalten.“
„Nun, und das Wenige? Was war es?“
„Er sagte, der Reichtum sei ein Raub an den Armen und man müsse also den Reichen alles nehmen, was sie haben. Er behauptete, der Staat dürfe von dem Untertan keine Steuern erheben und man müsse ihm also alles Geld, welches er in den Kassen habe, wieder wegnehmen. Er sagte, daß die Tramps alle Brüder seien und schnell sehr reich werden könnten, wenn sie seinen Vorschlägen folgen wollten.“
„Weiter! Was noch?“
„Ich habe nicht weiter auf seine Worte geachtet. Er sprach noch von der großen, vollen Kasse einer Eisenbahn, welche leergemacht werden müsse. Dann aber habe ich nicht mehr auf seine Worte gehört, denn ich sah den Ort, an welchem sich meine roten Brüder befinden.“
„Wo ist das?“
„In der Nähe eines kleineren Feuers, an welchem niemand saß. Dort standen sie an Baumständen, an welche sie gebunden waren, und bei jedem von ihnen saß ein Tramp, der ihn bewachte.“
„So kann man sich nicht leicht anschleichen?“
„Man kann es. Ich hätte sie wohl losschneiden können; besser aber war es, ich tat es nicht und holte meine weißen Brüder, um mir dabei zu helfen, weil es da viel schneller geht. Aber ich bin vorher bis zu einem meiner roten Brüder gekrochen und habe ihm zugeflüstert, daß sie gerettet werden sollen.“
„Das ist sehr gut, denn nun sind sie vorbereitet und werden, wenn wir ihnen nahe kommen, uns nicht etwa durch eine Bewegung der Freude und Überraschung verraten. Diese Tramps sind keine Westmänner. Es ist eine ungeheure Dummheit von ihnen, die Gefangenen nicht in ihre Mitte zu nehmen. In diesem Fall könnten wir sie nicht durch List befreien, sondern wir müßten, obgleich wir nur vier Personen sind, in den Kreis dieser Kerls hineinspringen, um, während der Schreck sie lähmt, die Osagen loszuschneiden. Führe uns nach dem Ort, an welchem sie sich befinden!“
Der Häuptling voran, huschten die vier von Baum zu Baum und gaben sich dabei Mühe, möglichst im Schatten der Stämme zu bleiben. So näherten sie sich schnell dem Lagerplatz, auf welchem sie jetzt acht Feuer zählen
Weitere Kostenlose Bücher