05 - komplett
in Besitz nehmen würde, über die sie andere Frauen hatte reden hören, die sie aber nie selbst erlebt hatte.
Selbst jetzt, da sie vor diesem starken, unberechenbaren Mann stand, wusste sie nicht, ob sie froh oder enttäuscht sein sollte, dass er sie freigegeben hatte. Mit aller Kraft bemühte sie sich um etwas Würde. „Wir haben uns nichts mehr zu sagen, Major Clifton. Betrachten Sie unsere Bekanntschaft als beendet.“
Er verbeugte sich knapp. „Wie Sie wünschen, Ma’am.“
Mit bebender Stimme und Tränen in den Augen fügte sie hinzu: „Was ich mir wünsche, Sir, und zwar von ganzem Herzen, ist, dass Sie in Waterloo gestorben wären und nicht Tony!“
Damit drehte sie sich auf dem Absatz um und machte sich auf die Suche nach Alex.
Er spielte Karten, doch kaum hatte er sie erblickt, entschuldigte er sich bei seinen Mitspielern und kam auf sie zu. „Na, na, Elle.“ Er nahm ihren Arm. „Was hat dich so aufgebracht?“
„Nichts. Ich möchte lediglich, dass du mich nach Hause bringst.“
„Dann werde ich das tun, aber etwas stimmt doch nicht.“
„Major Clifton hat mich beleidigt“, sagte sie wütend.
Alex hob die Augenbrauen. „Oh? Soll ich ihn zu einem Duell fordern?“
„Ja“, stieß sie heftig hervor. „Du sollst ihn fordern und ihn dann mit deinem Degen aufspießen. Ich will, dass er unter fürchterlichen Schmerzen stirbt!“
„Nun, ich würde es ja gern tun, meine Liebe, aber Clifton ist Soldat, also gewiss sehr viel geschickter mit seinem Degen als ich. Natürlich könnte er stattdessen Pistolen wählen, aber du weißt ja, was für ein schlechter Schütze ich bin.“
Selbst in ihrer Wut musste Eloise lachen.
Alex tätschelte ihr den Arm. „So ist es schon besser. Komm, ich bringe dich heim.“
Sie schwiegen, bis sie in Eloises eleganter Stadtkutsche saßen. Sobald sie über das Pflaster ratterten, verlangte Alex zu wissen, was geschehen war.
„Ich wollte Major Clifton mitteilen, dass ich meine Einladung nach Renwick Hall erhalten hatte. Mir kam der Gedanke, er könnte uns vielleicht helfen.“ Sie rieb sich unwillkürlich wieder das schmerzende Handgelenk.
„Und?“
„Er sagte, ich hätte die Moral einer gewöhnlichen Dirne.“ Sie suchte nach ihrem Taschentuch. „Und ich k...konnte es doch nicht leugnen, besonders nachdem er dich neulich in meinem Haus vorgefunden hatte.“
„Das hat er nicht weitererzählt, oder?“
„Nein, selbstverständlich nicht.“ Sie putzte sich die Nase. „Aber er denkt, ich sei endgültig dem Laster verfallen.“
„Kann man ihm wohl auch nicht übel nehmen“, erwiderte Alex mit recht herzloser Ehrlichkeit, wie Eloise fand. „Ich könnte mir denken, dass er eifersüchtig ist.“
„Nein.“ Sie trocknete sich die Augen. „Er ist einfach nur der abscheulichste Mann, den man sich vorstellen kann. Ich hasse ihn!“
„Warum bist du dann so aufgebracht?“
„Weil ich diese Farce leid bin! Ich hasse alle, die schlecht von mir denken.“
„Du meinst, du hasst Jack Clifton, weil er schlecht von dir denkt. Wenn es dein Ruf ist, um den du besorgt bist, könnte ich dich heiraten.“
„Aber du willst mich doch nicht heiraten.“
„Vor allem glaube ich nicht, dass ich dich glücklich machen könnte, Elle. Aber wenn wir damit einen Skandal verhindern ...“
Sie schüttelte den Kopf. „Das würden wir gar nicht, das weißt du.“ Seufzend steckte sie ihr Taschentuch ein und tätschelte Alex’ Hand. „Es ist lieb von dir, aber wir wollen beide keine Heirat. Entschuldige. Ich hätte mich von diesem hassenswerten Mann nicht so in Rage versetzen lassen dürfen. Es muss daran liegen, dass ich heute so müde bin.“ Sie straffte die Schultern. „Allerdings werde ich Major Clifton nicht wieder um Hilfe bitten. Du und ich, wir werden gemeinsam nach Renwick Hall fahren und einen Weg finden, um dieses verflixte Buch in die Hände zu bekommen. Tonys Name darf nicht in den Schmutz gezogen werden! Danach kann ich friedlich auf Allyngahm Park weiterleben, ein Waisenhaus gründen, wie Tony es wollte, und mich ein für alle Mal aus der Gesellschaft zurückziehen.“
Eloise bekam erneut zu spüren, in welchem Licht sie die Leute sahen, als sie sich am Abend ihrer Ankunft in Renwick Hall kurz vor dem Dinner zu ihrer Gastgeberin im Salon gesellte.
„Meine Liebe, wie pünktlich Sie sind“, meinte Mrs Renwick und kam auf sie zu. „Alle anderen sind noch dabei, sich zurechtzumachen. Setzen Sie sich zu mir, und erzählen Sie mir, wie Ihnen Ihr Zimmer
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