050 - Das Kind der Hexe
dem Inferno aus Feuer und Rauch.
In der Tür des Schlafzimmers war Mr. Hampton erschienen. Er hustete und wischte sich über die tränenden Augen. Er hielt seinen jüngeren Sohn in den Armen, der das Bewusstsein verloren hatte. Dorian geleitete ihn zum Fenster, wo Helfer aufgetaucht waren. Mrs. Hampton folgte. Ihr Nachthemd war zerschlissen, ihr Gesicht von Ruß geschwärzt. Sie schob ihren älteren Sohn vor sich her.
»Wo ist das Baby?«, schrie Dorian die Frau an, die am Rande eine Nervenzusammenbruchs stand. »Wo ist mein Kind?«
Aber Mrs. Hampton schüttelte nur immer wieder den Kopf.
Dorian drang in den qualmenden Gang vor. Unter seinen Füßen ächzte der Holzfußboden. Rauch stieg durch die Ritzen, Funken stoben hoch. Dorian konnte kaum etwas erkennen. Er bekam keine Luft und taumelte gegen eine Tür, die unter seinem Gewicht nachgab.
Durch die dichten Rauchschwaden sah er die Wiege. Er wankte darauf zu. Sie lag umgekippt auf dem Boden.
Hinter ihm barst klirrend ein Fenster.
»Kommen Sie, Mann!«, schrie jemand. »Die Bude kann jede Sekunde in sich zusammenfallen!«
Dorian versuchte, die Hände abzuwehren, die ihn packten und zum Fenster zerrten. Aber er hatte nicht mehr die Kraft, seinem Widersacher ernsthaften Widerstand zu leisten.
»Mann, o Mann«, sagte der Unbekannte mit dem Feuerwehrhelm keuchend, als er Dorian endlich beim Fenster hatte. Mehr erfasste Dorian nicht mehr. Vor seinen Augen wurde es schwarz, und er glaubte, endlos lange zu fallen. Doch er spürte keinen Aufprall. Er schwebte im Nichts.
Aus dem Nichts wuchs das alte Fachwerkhaus in Croydon. Mr. und Mrs. Hampton standen mit ihren beiden Söhnen in der Tür. Dorian und Coco näherten sich ihnen zögernd. Es waren schließlich Fremde, die sie vorher noch nie gesehen hatten. Coco hatte diese Familie nach magischen Gesichtspunkten ausgewählt, ebenso wie sie das Geburtsdatum ihres Kindes anhand einer Formel, die nur ihr bekannt war, festgelegt hatte. Dorian spürte eine gewisse Beklemmung, als er den fremden Leuten gegenübertrat. Doch der Empfang, den sie ihnen boten, war so herzlich, als seien sie uralte Bekannte. Es erschien Dorian sehr bemerkenswert, dass die Hamptons erfreut zugestimmt hatten, als Coco gebeten hatte, ihr Kind in ihrem Haus zur Welt zu bringen und es für einige Tage bei ihnen lassen zu dürfen. Und doch hatte Coco versprochen, diese arglosen, frommen und auch abergläubischen Leute nicht magisch zu beeinflussen. Und während sie im Hause der Hamptons ihre erste und einzige Nacht gemeinsam verbracht hatten, war Lilian nördlich von London von Olivaros Zwerg ermordet worden.
Dorian übersprang in seinem Traum die Zeit, verdrängte es, dass weitere Menschen ihr Leben hatten lassen müssen, weil Olivaro es in seinem Fluch so bestimmt hatte. Und als dann im Haus der Hamptons das Kind geboren worden war, war der magische Kreis längst geschlossen. Nur – Coco, Dorian und ihr Sohn standen bereits außerhalb dieses Teufelskreises. Der Fluch war mit dem ersten Schrei des Kindes – einem lautstarken Lebenszeichen – von ihnen genommen worden.
Das Sterben aber ging weiter. Und – im Traum – hatte der Geburtshelfer, der sich über die Wiege des Neugeborenen beugte, plötzlich ein hässliches Greisengesicht; mit Glotzaugen, viel zu breitem Mund und einem hervorspringenden Kinn, das ständig mahlende Bewegungen vollführte. Und auf einmal war die Wiege leer. Und Dorian wusste, warum der Zwerg kaute. Und das Haus der Hamptons stand in Flammen – und sie alle waren wieder im Teufelskreis eingeschlossen. Das Grundstück der Hamptons wurde zu einem Friedhof. Über dem Gottesacker schwebte der purpurne Tod mit seiner Sense.
Es lebe der Tod!
Und er schwang die Sense – und mit jedem Schwung löschte er ein Leben aus. Mähte immerfort, erntete, was Olivaro gesät hatte. Als sich die Schneide unaufhaltsam dem Kind näherte, das Coco ihm geschenkt hatte, da schrie er und lehnte sich gegen die dämonische Macht auf, die die Sense des Todes leitete …
Die schrecklichen Bilder verblassten. Er fand sich in seinem Bett wieder, in dem vertrauten Zimmer in der Jugendstilvilla. Coco saß im Morgenmantel bei ihm und kühlte seine schweißnasse, fiebrige Stirn mit einem kühlen Lappen. Draußen dämmerte der neue Tag. Welcher Tag?
»Es ist alles vorbei, Liebling«, sagte Coco. »Ich hoffe, du kannst mir meine Eigenmächtigkeit verzeihen. Aber ich konnte nicht anders handeln.«
Wovon redete sie eigentlich? Er stellte die ihn
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