050 - Das Kind der Hexe
bedrängenden Fragen nicht. Coco würde ihm die Antworten von selbst geben.
Sie erhob sich, wanderte langsam zum Fenster und blickte ihn an. »Ich habe immer versucht, dir eine gute Gefährtin zu sein, Dorian. Und ich weiß, dass ich stets mehr war als nur deine Geliebte. Wäre ich mir dessen nicht so sicher gewesen, hätte ich mir nie einen Sohn gewünscht. Erinnerst du dich an die Stunde, in der wir beschlossen haben, ein Kind zu bekommen? Es war ein ernster und feierlicher Moment. Wir wussten beide, welches Risiko wir eingingen. Aber ich bilde mir ein, noch weiter vorausgedacht zu haben als du. Ich sah dich damals in einer Vision als pflichtbewussten Familienvater – und ich liebte dieses Bild nicht. Sage nichts, Dorian. Du hast viel Liebe zu geben, ich weiß das. Aber du gibst sie auf deine Art. Und dann ist da noch etwas. Es wäre ungerecht von einem Einzelnen, dich für sich allein zu beanspruchen. Ungerecht und unfair der Menschheit gegenüber. Du bist dazu auserwählt, deine Kraft und deine Zeit dem Kampf gegen die Dämonen zu opfern. Und deshalb habe ich damals schon beschlossen, dich nicht zusätzlich zu belasten. Ich hatte neun Monate Zeit, mir alles gut zu überlegen, und ich bin zu dem Entschluss gekommen, unser Kind an einem sicheren, unbekannten Ort aufwachsen zu lassen, den nur ich kennen werde. Sage nicht, das sei egoistisch. Stell dir stattdessen vor, unser Sohn wäre hier in der Jugendstilvilla. Du müsstest ständig um ihn bangen, müsstest dich jedes Mal, wenn du die Welt von einem Dämon befreien möchtest, fragen, ob dieser durch seinen Tod nicht einen Fluch gegen deinen Sohn wirksam werden lässt …«
Coco machte eine längere Pause, damit er sich ihre Worte durch den Kopf gehen lassen konnte. Dorian brauchte nicht lange zu überlegen. Er wusste, dass sie Recht hatte. In allen Punkten hatte sie Recht.
»Du hast die ganze Zeit gefühlt, dass ich dir etwas verschweige, Dorian. Das ist mir nicht entgangen«, fuhr sie fort. »Jetzt weißt du, was ich dir verheimlicht habe. Ich hatte schon immer vorgehabt, unseren Sohn nach der Geburt an einen Ort zu bringen, den nur ich kenne. Nun kannst auch du ermessen, wie weise dieser Entschluss war. Hätte ich ihn bei den Hamptons belassen, wäre er nicht mehr am Leben. Der Zwerg hätte ihn Olivaro geopfert. So aber kam ich ihm zuvor. Unser Sohn lebt. Und er ist in Sicherheit.«
Dorian ließ sich erleichtert zurückfallen. Ihm brannte die Frage förmlich auf den Lippen, wohin sie ihr Kind gebracht hatte. Doch er stellte sie nicht, weil er wusste, dass sie es ihm nicht sagen würde. Und es war wirklich besser so.
Stattdessen fragte er: »Wie geht es den Hamptons?«
»Sie sind alle wohlauf. Es geht ihnen gut. Von ihrem Schock konnte ich sie heilen. Und den materiellen Schaden ersetzt die Versicherung.«
Er winkte sie mit dem Zeigefinger zu sich. »Komm her, und heile auch mich.«
»Ich weiß aber nicht, ob ich die richtige Medizin für dich habe.«
»Aber ich weiß, was ich brauche.« Als sie das Bett erreicht hatte, zog er sie zu sich herunter.
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