050 - Das Kind der Hexe
ihn oberflächlich. Dann tauchte die Frau in die Dunkelheit der Empfangshalle ein. Frank folgte ihr. Hinter ihm fiel die Tür ins Schloss. Verhaltenes Stimmengemurmel ertönte.
»Hier entlang, Bruder!«
Er wurde flüchtig am Ellenbogen gestreift, aber unmissverständlich in eine bestimmte Richtung gedrängt.
»Achtung! Stufen, Bruder!« Der unsichtbare Sprecher sprach abgehackt.
Wer waren diese Leute? Was hatte man mit ihm vor? Waren außer ihm und der jungen Frau noch andere hergerufen worden? Frank kam der unheimliche Verdacht, dass Margarita Voisin viele Personen in ihre Abhängigkeit gebracht hatte und sie nun alle um sich versammelte, um eine Verschwörung anzuzetteln. Frank blieb stehen. Sein Herz klopfte wie rasend.
»Weiter, Bruder, weiter!«
Hinter ihm drängte jemand nach. Frank wurde weiter die Treppe hinuntergeschoben. Es war eine Wendeltreppe. Aber er wehrte sich nicht dagegen. Er hatte überhaupt nicht die Kraft dazu.
»Da, trink, Bruder!« Ein eiskalter Metallbecher, dem heiße Dämpfe entströmten, wurde ihm an die Lippen gehalten. Er versuchte, den Kopf fortzudrehen. Aber da wurde er mit festem Griff im Genick gepackt. Sein Kopf wurde nach hinten gebogen, und gleichzeitig musste er den Mund öffnen. Er spürte, dass die dampfende Flüssigkeit ihm den Atem raubte. Er musste das Gebräu schlucken … Seltsam – so sehr ihn zuerst davor geekelt hatte – jetzt empfand er den Trank als Labsal. Auf einmal fühlte er sich viel gelöster. Und als hätte ihm der Trank seine Sehkraft zurückgegeben, konnte er auf einmal seine Umgebung wahrnehmen. Er befand sich in einem von Fackeln erhellten Kellergewölbe. Die Wände waren schwarz bemalt und mit einigen ungerahmten Bildern behangen. Sie stellten antike Szenen dar – zumindest dachte Frank das zuerst.
Aber bei näherer Betrachtung stellte er fest, dass es sich um Teufelsbildnisse der Gegenwart handelte. Der Teufel, wie er ein Menschenopfer entgegennahm, der Teufel, wie er auf dem Altar kauerte, der eine lebendige Frau war …
Frank begegnete dem Blick der zierlichen jungen Frau. Sie trug nicht mehr den Umhang und zitterte auch nicht mehr … in ihren Augen war nicht Angst, sondern – Begierde. Ihre Hand fand kurz die seine, drückte sie … Aber sofort wurde sie ihm wieder entrissen. Grölen – wie bei einem Gelage – wurde laut. Irgendjemand trommelte, ein anderer zupfte ein Saiteninstrument, und ein dritter blies eine Art Flöte. Frank fühlte sich in Hochstimmung. Er war enthemmt. Angst? Wovor? Ihm war, als hätte er noch nie so etwas wie Angst gekannt. Dreißig oder vierzig Frauen und Männer waren hier versammelt. Und so wie Frank wusste, dass er hier niemanden kannte, war ihm bekannt, dass sich auch die anderen fremd waren. Dennoch spürten sie ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Sie waren eine verschworene Gemeinschaft – waren alle Diener der Voisin. Die zierliche Frau tanzte mit einem Zwerg, keinen Meter groß, der ein Greisengesicht und hervortretende Glotzaugen hatte. Andere Männer und Frauen gesellten sich zu den Tanzenden und rissen sich in Ekstase die Kleider vom Leibe …
Und dann erschien die Voisin. Frank erkannte sie sofort, obwohl sie viel jünger aussah als vor einem Jahr. Aber sie war es, zweifellos. Sie war eine Frau von atemberaubender Schönheit. Und sinnlich. Der Ausdruck ihres Gesichts zeugte davon, dass sie gerade erst die Leidenschaft ihres Liebhabers gespürt hatte … der der Teufel war! Das wurde Frank augenblicklich bewusst. Aber der Gedanke erschreckte ihn nicht. Das war die Wirkung des Zaubertranks, der ihn enthemmt hatte. Beim Anblick der Hexe trennten sich die Paare und zogen sich ehrfürchtig an die Wände zurück. Die Voisin stieg zum Altar hinauf, der aus den Beckenknochen eines Weibes gebildet war. Die Fackeln erloschen – ihr Feuer erstickte förmlich, als wäre ihnen der Sauerstoff entzogen worden. Und so musste es tatsächlich sein, denn auch Frank hatte plötzlich mit Atemnot zu kämpfen.
Aber dann drückte ihm jemand etwas Weiches, Glitschiges in die Hand und befahl: »Press es aus! Zerquetsche es mit aller Kraft!« Und indem Frank es tat, fiel ihm das Atmen wieder leichter. In einem Winkel röchelte eine Frau – gleich darauf seufzte sie erleichtert.
»Ihr alle seid gekommen, um IHM zu huldigen, der euch in höchster Not geholfen hat«, sprach nun die Hexe Voisin. »Ihr alle seid IHM zu Dank verpflichtet, weil ER euch eure geheimsten Wünsche erfüllt hat. Dem einen stillte er die Geldgier,
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