0500 - Der Dunkle Gral
das edle Metall an meinen Handflächen.
Es war wunderbar.
Kaum hatte ich Kontakt zu dem Gral bekommen, da durchströmte mich ein warmes Gefühl. Ich schien mich innerlich zu vergrößern und bekam den Eindruck, auf einem Podest zu stehen, das gleichzeitig als Startplatz diente, um mich in eine ferne Welt zu katapultieren.
Der Gral war in meinen Händen.
Noch hielt ich die Arme ausgestreckt. Das goldene Funkeln bestand nicht mehr, ich wurde nicht geblendet, hielt den Kelch fest und zog die Arme sehr behutsam an meinen Körper, und zwar so nah, daß ich in den Kelch hineinschauen konnte.
Ich sah nicht bis auf den Grund, denn in der Mitte und noch an einer sehr breiten Stelle schwamm etwas. Es zitterte, es zeigte Umrisse, ein Gesicht.
Tanith…
Die ebenmäßigen Züge lagen hinter einem Schleier verborgen. Dennoch konnte ich das Lächeln erkennen, das dieses Gesicht der rothaarigen Frau noch verschönte.
Sie wünschte mir Glück auf meinem weiten Weg. Ich vernahm ihre Stimme als Echo in meinem Kopf. »Lange wurde das Geheimnis des Dunklen Grals gehütet, du hast es jetzt erfahren. Ich weiß, daß du dich seiner würdig erweisen wirst. Dein Weg wird dich hineinführen in Mythen und Legendenwelten. Der Gral ist gleichzeitig der Wegweiser zu Aibon. Setze ihn sicher ein, aber verlasse dich nicht zu sehr auf ihn. Er wird dir eine Hilfe sein können, jedoch keine Wunderwaffe. Du wirst lernen müssen, mit ihm umzugehen, und du wirst auch Rückschläge erleiden, denn das Buch des Schicksals besitzt nicht nur positive Seiten. Doch du hast es bisher geschafft, und wirst es auch weiterhin schaffen. Dein weiterer Weg steht noch unter einem günstigen Stern, auch wenn Kräfte versuchen, diesen Stern zu verdunkeln.«
Sie erklärte nichts mehr. Dafür zog sie sich zurück. Ihr Gesicht verschwand wie hinter einer Wolke, doch ihre Worte hatte ich nicht vergessen.
Ich hob sehr bedächtig den Kopf. Eine andere Gestalt erschien wieder in meinem Blickfeld. Ich hatte nicht bemerkt, daß der Großmeister seinen Platz gewechselt hatte. Jetzt stand er vor mir, so daß ich ihn anschauen konnte.
»Du hast Taniths Worte vernommen, John Sinclair. Achte sie und vergiß sie bitte nicht. Tanith ist eine sehr weise Person gewesen. Ich weiß, daß Mörder ihrem Leben ein Ende gesetzt haben, doch ihren Geist konnten sie nicht vernichten.«
»Ja, ich habe es bemerkt.«
»Er wurde aus deiner Wohnung geholt. Kräfte des Lichts haben ihn geleitet. Von nun an wirst du ihn mit anderen Augen ansehen können, das ist sicher.«
Ich sah auch das etwas schmerzliche Lächeln um Peter von Aumonts Mund und fragte ihn: »Tut es dir nicht leid, den Gral jetzt in meinen Händen zu sehen?«
Er hob die Schultern. »Zu Beginn schon, aber ich weiß mittlerweile, wer du bist, John Sinclair. Ich glaube kaum, daß wir einen würdigeren Nachfolger hätten finden können. Viel Glück auf deinen Wegen.«
»Und was geschieht mit euch?«
Peter von Aumont guckte mich sehr nachdenklich an, bevor er den Kopf drehte und die Templer anschaute. »Wir alle stammen aus einer anderen Zeit. Wir sind offiziell tot und begraben worden. Wir leben, doch wir leben nicht richtig, weil wir noch eine Bestimmung haben. Einmal werden wir kämpfen, John Sinclair. Noch einmal werden wir unsere Schwerter erheben, um dem Bösen den Kampf anzusagen. Wir werden es vernichten, denn es hat in die Kirche der Templer gefunden. Es lauert, da hast du recht, aber wir lassen dich nicht ohne Schutz. Es werden Zeiten kommen, wo sich die Gräber öffnen und dem Bösen in den Weg stellen werden. Diese Zeit ist jetzt angebrochen. Unsere Gräber sollen nicht länger verschlossen bleiben.«
»Das heißt, ihr wollt mich begleiten?«
»Ja, wir werden nach draußen gehen. Aus der Vergangenheit in die Zeit, die wir Zukunft nennen, die für dich jedoch die Gegenwart ist.«
»Ich habe nur zwei gesehen. Van Akkeren und einen Helfer namens Saunders.«
»Letzterer ist ein Verräter. Seine Familie war es, die uns verraten hat. Schon in alter Zeit haben die Saunieres, so hießen sie damals, versucht, den Gral in ihren Besitz zu bringen. Es ist ihnen nicht gelungen, wir haben ihn zu gut gehütet. Du aber wirst ihm mit dem Gral in der Hand entgegentreten. Geh wieder zurück in deine Zeit und steige an die Oberfläche. Dabei mußt du immer daran denken, daß du nicht allein bist. Du wirst uns zwar nicht sehen, aber wir sind da und beobachten alles. Wenn die Not am größten wird, stehen uralte Templer bereit, um den
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