0500 - Der Dunkle Gral
die Vergangenheit hinein.
Peter von Aumont ging zurück, ohne mich loszulassen. Ich spürte den leichten Zug und gab ihm nach.
Dann stand ich zwischen ihnen. Ich sah die Gesichter der sitzenden Templer. Sie waren aus einem jahrhundertelangen Schlaf erwacht, aber sie konnten nicht verleugnen, daß sie den Tod bereits gesehen oder erlebt hatten.
In der Haut erkannte ich Spuren wie Kerben. Sie war blutlos, nicht mehr frisch, und auch die Lippen wirkten grau und spröde. Müde und gleichzeitig interessierte Blicke betrachteten mich. Sie forschten, sie tasteten mich ab, sie suchten in meinen Augen nach Falschheit, und gleichzeitig nickten sie.
Es waren Zeichen der Begrüßung, die sie auch fortführten, indem sie sich erhoben. Auch dies geschah mit einer gewissen Distanz. Sie blieben vor den Stühlen stehen und verbeugten sich zum gleichen Zeitpunkt, in dem sie nur mir allein zunickten.
»Sie haben dich in unseren Kreisen willkommen geheißen«, erklärte der Großmeister, »und sie lehnen dich nicht ab, John Sinclair. Ein Zeichen, daß sie dir vertrauen.«
»Wie du?«
Ernst und prüfend ruhte Peter von Aumonts Blick auf mir. »Ja, wie ich«, antwortete er.
»Dann weihe mich in das Geheimnis des Dunklen Grals ein.«
Er lächelte. »Menschen haben sich nicht geändert. Auch zu unserer Zeit existierte bereits die Ungeduld. Du hast lange gewartet, sehr lange. Kommt es jetzt auf eine Minute oder Sekunde an?«
»Im Prinzip nicht, wenn wir aus dem Bereich der Gefahren wären. Aber ich denke an die Baphometh-Templer, die schließlich unsere gemeinsamen Feinde sind. Sie warten darauf, mir das Geheimnis entreißen zu können.«
»Du bist hier sicher.«
»In dieser Zeit meinst du?«
»So ist es. Wenn ich nicht will, daß jemand die Grenze überschreitet, dann schafft er es auch nicht. Daran solltest du denken. Ich bin derjenige, der hier herrscht. Ich kenne das Geheimnis, ich werde es dir mitteilen, weil ich Vertrauen zu dir habe, und ich muß dir sagen, daß du bisher mit geschlossenen Augen durch die Welt gegangen bist.«
Das war sinnbildlich gemeint. Ich wollte natürlich mehr wissen, deshalb sagte ich: »Dann öffne mir die Augen, bitte sehr.«
»Das werde ich gern tun, John Sinclair. Zuvor jedoch will ich dich daran erinnern, daß du dich in einer Welt befindest, wo vieles anders ist. Hier kannst du ohne Schwierigkeiten Kontakt zu den Personen aufnehmen, die nicht mehr leben, aber als Geist existieren. Sie warten darauf, in die höheren Stufen zu gelangen, sind aber noch stark genug, um mit den Lebenden in Kontakt treten zu können. Erinnere dich daran, wer dir geholfen hat, als du gegen Garinga angetreten bist. Hast du nicht eine Stimme vernommen!«
»Ja, es war die einer Bekannten.«
»Tanith, die Hellseherin.«
»Du kennst sie auch?«
»Sie ist eine außergewöhnliche Person. Sie hat die magische Kugel besessen, die auch einmal dir gehört hat, die sie aber ohne dein Wissen wieder zu sich geholt hat. Die Kugel befindet sich in Taniths Besitz, in ihrer, in unserer Welt. Sie hat mich gebeten, dich mit ihr reden zu lassen, und ich bin der Bitte nachgekommen. Sie gab dir den Rat, das Kreuz und das Schwert zu verbinden, aber auch ein anderer versuchte, dir zu helfen. Es war der Abbé Bloch, ebenfalls ein Gerechter, der in der heutigen Zeit als Großmeister versucht, den Templer-Orden wieder so werden zu lassen, wie er einmal gewesen ist. Er schuf die Verbindung zu Tanith durch den Würfel, sie schuf die Verbindung zu dir, die auch jetzt nicht abgerissen ist. Schau in die Höhe, John…«
Ich hatte mich bisher auf die Templer konzentriert und andere Dinge, wie meine Umgebung außer acht gelassen. Nach von Aumonts Worten legte ich den Kopf in den Nacken und blickte dorthin, wo eigentlich die Decke des Gewölbes hätte sein müssen.
Sie war aber nicht da. Statt dessen schaute ich gegen einen Schleier, eine Nebelwand, die sehr dünn war, aber gewisse Konturen aufwies, so daß ich glaubte, ein Gesicht zu erkennen und einen schwach rötlich schimmernden Ball.
Nein, es war kein Ball. Es war die Kugel der Tanith, die ich einmal an mich genommen und mit dem Kelch des Feuers in Kontakt gebracht hatte.
Eigentlich hatte ich es nicht gewollt, dennoch drang der Name flüsternd über meine Lippen.
Bekam ich eine Antwort? Sah ich Tanith tatsächlich, oder bildete ich mir ihr Gesicht nur ein?
Sie antwortete. Diesmal vernahm ich ihre Stimme nicht nur in meinem Kopf, die Worte erreichten mich als begrüßendes
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