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051 - Im Orbit

051 - Im Orbit

Titel: 051 - Im Orbit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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es gab sie. Ich hatte den Geo- siphon. Ich hatte die Vorräte der ISS. Und ich hatte auch schon konkrete Pläne für einen Rückflug zur Erde, nach Abklingen der allerschlimmsten Einschlagsfolgen.
    Ich stellte differenzierte Berechnungen an, wie viele Menschen wie viele Jahre auf der Mondstation überleben konnten. Für Melanie, zwei Kinder und mich hätte die Zeit ausgereicht.
    So sahen meine Pläne für die Keimzelle einer neuen Menschheit aus - und für mein persönliches Überleben. Ich, Louis Taurentbeque, habe getan, was jeder Mensch in meiner Situation getan hätte: Ich habe bis zum Schluss für eine vernünftige Idee und für mein Leben gekämpft.
    Wer kämpft - noch dazu in einer Ausnahmesituation wie der meinen - der muss unangenehme Entscheidungen treffen; der kann um seiner höheren Ziele willen nicht immer auf Gewalt verzichten. Also gestehe ich: Hagen Winter hätte die Mondstation niemals lebend betreten. Die ursprüngliche Besatzung der Station hätte sterben müssen. Und mehr als ein hochqualifiziertes Werkzeug ist auch Ragojew für mich nie gewesen.
    Nicht weil ich »böse« oder gar ein Mörder bin, sondern weil ich mein Ziel nicht gefährden wollte. Ein Ziel, das schwerer wog als ein kleines Leben…
    Ragojew stieg aus, kurz nachdem Hagen Dr. Sergej Jarnyszin, den russischen Chefwissenschaftler, in die Rettungsfähre gebracht hatte. Ich selbst half Oberstleutnant Ragojew in den Raumanzug und schnallte ihn auf der Manövriereinheit fest. Und wünschte ihm Glück, als ich ihn in die Luftschleuse vor der Ausstiegsluke schob.
    Man möge mir glauben: Es fiel mir nicht leicht.
    Er benötigte fast zwei Stunden für die Reparatur der Rampenhydraulik. Die X-
    38 startete und Ragojew steuerte die Ausstiegsluke im Zarya-Modul an. Da hatte ich längst die gesamte Schleusenelektronik abgeschaltet.
    Er merkte es, nachdem er vergeblich versucht hatte, das Außenschott zu öffnen.
    Und nachdem ich auf seine Hilferufe nicht antwortete.
    Dass er fluchen würde, hatte ich erwartet. Aber nicht, dass er weinen würde. Ja, Oberstleutnant Anatol Ragojew weinte, als er begriff, dass er sterben musste. Er weinte und verdammte mich.
    »Ich verfluche dich, Louis Taurentbeque! Ich verfluche dich bei Gott und bei allen Heiligen«, schluchzte seine Stimme aus dem Empfänger. »In der Hölle sollst du braten!« Ich schaltete die Sprechanlage aus.
    Natürlich weiß ich, dass es weder einen Gott noch einen Teufel gibt. Dennoch bohrten sich die letzten Worte Ragojews tief in mein Hirn. Und blieben darin haften wie Zecken. Manchmal, wenn ich seine Stimme aus dem Bordfunk oder hinter dem Schott zum Destiny-Modul zu hören meine, frage ich mich, ob es nicht vielleicht doch an diesen Worten liegt, dass alles so anders kam als geplant…
    ***
    Ende Dezember 2517
    Mit trockenem Mund und brennenden Augen las Matt die Aufzeichnungen des letzten Bewohners der Internationalen Raumstation. Der Russe im All schrie erbärmlich.
    Matt wunderte sich nicht darüber.
    Vielleicht hätte er auch geschrien, wenn man ihn aus der Raumstation verbannt und dem sicheren Tod im Nichts überantwortet hätte.
    »Hörst du nicht, wie er weint, du Mistkerl? Lass ihn rein, verdammt!«, rief der Mann aus der Vergangenheit. »Hörst du nicht, wie jämmerlich er schreit?« Der Commander ballte die Fäuste. »Lass ihn rein, Taurentbeque! Hol den Russen endlich in die Schleuse!« Matt brüllte, als wollte er die Stimme in seinem Helm übertönen. »Du bist ein Schwein, Taurentbeque ! Ich werde dafür sorgen, dass man dich vor ein Kriegsgericht stellt, das schwör ich dir!«
    Ohrenbetäubender Lärm drängte das Geschrei für Augenblicke in den Hintergrund. Etwas krachte, etwas splitterte, und dann schrie ein Mann.
    Ein schwerer Vorhang lag auf Matts Hirn. Diesseits des Vorhangs fragte er sich, ob Ragojew sich mit Gewalt Einlass in die Außenluke verschafft hatte; jenseits des Vorhangs wusste er, dass die Geräusche im Helmfunk nichts mit den Aufzeichnungen zu tun hatten und dass es Major Millers Stimme war, die da schrie.
    Vor dem Schott stand Captain Cham- bers. Ihre Augen wirkten unnatürlich groß und starr. »Überfall«, flüsterte ihre Stimme aus dem Helmfunk. »Die Run- ning Men! Ich lasse sämtliche Bunkereingänge schließen und informiere General Crow. Er soll Verstärkung schicken.«
    McKenzie/Hollyday schwebte neben ihr an der Modulwand. Sie hatte ihn einfach an einigen Werkzeughalterungen fixiert. Er redete noch immer mit dem leeren Raumanzug, und ein

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