051 - Im Orbit
wurde, ruckte unerbittlich naher. Ich kämmte die gesamte Raumstation nach Essbarem durch. Im europäischen Raumfrachter fand ich tatsachlich noch hochkalorische Nahrungsriegel. In den Laboratorien stellte ich Zuckerlösungen her. Doch all das schob das Ende nur ein wenig weiter hinaus.
Es schien Anfang dieses Jahres gekommen zu sein. Ich ließ die Hoffnung auf Rettung endgültig fahren. Doch der Hunger - der Hunger machte mich rasend. So dass ich schließlich auf eine wahrhaft animalische Idee verfiel: Stück für Stück taute ich Yakumoris Leiche auf und aß sie. Und nach Yakumori aß ich Dr. Winter…
Doch genug davon.
Seit knapp fünf Wochen bin ich nun ohne Nahrung. Jetzt geht es nicht mehr. Es ist definitiv vorbei. Wer immer diese Aufzeichnungen einst lesen wird, er möge sich in meine verzweifelte Situation versetzen. Er möge sich fragen, ob er an meiner Stelle nicht den gleichen Kampf gekämpft hatte. Und er möge Nachsicht üben, wenn er diese Frage verneint, weil er meine Methoden ablehnt. Meine Ziele kann er unmöglich ablehnen. Und ich frage: Ist für die Erhaltung der Menschheit nicht jedes Mittel geradezu heilig?
Dr. Louis Taurentbeque, am 14. Juli 2013
***
Er speicherte die Datei in den MSC und schaltete den Computer auf Stand-by. Im Bordfenster über ihm ging die Sonne auf. Die Stimme seiner Mutter rief ihn von weit her. »Komm jetzt!« Er sah sich um, konnte sie aber nirgends entdecken. Bis ihr Gesicht außerhalb des Moduls vor dem Sichtfenster erschien. »Komm endlich«, sagte sie. Der schon in helles Licht getauchte Teil der Erdscheibe umgab ihr graues, von Moosröschen gekränztes Haupt wie ein Heiligenschein.
Taurentbeque musste lachen. Anders als er war seine Mutter eine sehr religiöse Frau gewesen. »Wohin, Maman? Wohin soll ich kommen? Im Himmel wird man mir keine Tür offnen, und in der Hölle werde ich dich kaum finden.«
Die Frau winkte und raunte etwas, das er nicht verstand. Unendlich schwer fiel es Taurentbeque, in seinen Anzug zu schlüpfen, vollkommen entkräftet waren sein Körper und gleichgültig sein Geist.
Irgendwie schaffte er es dennoch. Am Schluss zog er den Solarschild herunter und verriegelte ihn. Statt mit Atemluft hatte er das Überlebenssystem seines Raumanzugs mit reinem Stickstoff gefüllt.
Nach drei Atemzügen erlosch sein Bewusstsein…
ENDE des Zweiteilers
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