0511 - Fenster der Angst
Arme aus. »Ich bin auch eine Hexe.«
»Stimmt.«
»Soll ich dich mal verhexen?« Wilma stand auf, schwankte dabei leicht, und Pernell schlug ihre Hände zur Seite. »Verschwinde, geh weg von mir! Laß dich nicht mehr…«
Sie ging abwinkend an ihm vorbei. »Ach, hör auf, du lahmer Bock! Ich gehe jetzt nach oben und lege mich hin.« An der Tür drehte sie sich noch einmal um. »Hast du das Grab schon zugeschaufelt?«
»Das ist schließlich meine Pflicht.«
»Sonst hättest du dich doch neben dein Liebchen legen können.«
Sie sprach’s und verschwand.
Pernell Davies wußte nicht, was er auf diese verächtliche Bemerkung erwidern sollte. Er kam darüber nicht hinweg. Seine eigene Frau erstickte an ihrem Haß.
Irgendwann würde er erfahren, wie Julia tatsächlich ums Leben gekommen war. Offiziell war sie an einem Herzschlag gestorben.
Zuviel Aufregung, zuviel Arbeit.
Daran glaubte Pernell Davies nicht.
Er war der festen Überzeugung, daß seine Frau nachgeholfen hatte.
Dann war es Mord, und der mußte gesühnt werden!
***
Wilma Davies hatte mittlerweile das Schlafzimmer erreicht. Es lag in der ersten Etage. Sie und ihr Mann teilten sich den relativ großen Raum, in dem es ziemlich kühl war. Wilma fröstelte.
Es war auch feucht. Flecken an der Decke und an den Tapeten zeugten davon. Zudem fühlte sich das Laken des Oberbetts ebenfalls klamm an. In der Waschschüssel auf der Kommode schwamm noch das Wasser vom Morgen. Es sah grau aus. An den seitlichen Innenrändern der Schüssel hatte sich ein schmieriger Film gebildet.
Die Frau strich über ihre Augen, als sie sich auf die Bettkante setzte. Sie war müde, irgendwie auch benebelt, und sie bekam kaum mit, daß sie sich auszog und ihr Nachthemd überstreifte.
Sehr langsam fiel Wilma zurück. Sie versank mit dem Hinterkopf in dem weichen Kissen, das ihr vorkam wie eine Welle, die über ihrem Kopf zusammenschlagen wollte.
Es war noch nicht Abend, dennoch sehr dunkel im Raum. Durch das Fenster sickerte das graue Licht des Tages. Dunstschwaden zogen wie Tücher draußen vorbei.
Wilma konnte vom Bett aus direkt auf das Fenster schauen. Ihr kamen die Nebeltücher vor, als wollten sie ihr mit langen Dunstarmen Grüße zusenden aus einer anderen Welt.
Im Bett fühlte sie sich wohl. Die dicken Kissen gaben ihr einen gewissen Schutz. Auch wenn es kalt und feucht im Zimmer war, sie liebte das Bett über alles. Sie verkroch sich darin wie der Bär in seiner Höhle.
Ihr Mann kam nicht. Wie sie Pernell kannte, würde er auch nicht neben ihr schlafen. Der war bedient. Wilma hatte ihn eben zu hart und scharf angegriffen.
Er würde sich eben daran gewöhnen müssen, wieder mit ihr allein zu sein. Sein Liebchen konnte er vergessen.
Bei dem Gedanken an die Tote huschte ein Lächeln über ihre Lippen. Ah, wie hatte sie dieses junge Geschöpf gehaßt, das den Kerlen den Kopf verdrehte. Der Tod war nach Wilmas Ansicht eine nur allzu gerechte Strafe für Julia Ashley gewesen.
Wilmas Gedanken zerfaserten. Zudem tat der Alkohol seine Wirkung. Sie hatte auch den Eindruck, über den Wolken zu schweben. Das Oberbett spürte sie kaum noch. Sie schwebte davon, kam sich vor wie die langen Dunsttücher vor dem Fenster.
Den Kopf hatte sie etwas schräg gelegt. So konnte sie gegen die Scheibe schauen und beobachten.
Die Bahnen blieben. Aber sie hatten sich verändert. Jetzt trieben sie nicht mehr von einer Seite heran, sie stiegen auch aus der Tiefe und gerieten in rollende Bewegungen.
Zudem waren sie heller geworden, als würden Sonnenstrahlen in die Nebel scheinen.
Wilma verwirrte dieses Bild. Sie konnte sich darauf keinen Reim machen. Gleichzeitig spürte sie tief in ihrem Unterbewußtsein etwas hochsteigen, für das sie nur eine Erklärung hatte.
Furcht…
Angst vor dem Unabwendbaren, vor einem Schicksal, das sie treffen würde und das sich gleichzeitig draußen vor der Scheibe allmählich abzeichnete.
Es waren nicht nur die Schwaden, die sich dort abzeichneten. Etwas kam, etwas stieg hoch, dieses helle Schimmern brachte es mit sich.
Es waren Haare.
Sorgfältig gekämmt und hellblond, dabei in der Mitte gescheitelt.
Wilma glaubte, wahnsinnig zu werden. Hinter der Scheibe zeichnete sich übergroß ein Gesicht ab. Sie sah es nicht ganz, dazu war das Fenster zu klein, der Ausschnitt jedoch reichte ihr.
Es war ihr Gesicht.
Das Gesicht der Julia Ashley, einer Toten!
Und es schwebte vor der Scheibe, als würde es an langen Fäden hängen.
Noch ein Stück glitt es
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