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0514 - Der Schädeltempel

0514 - Der Schädeltempel

Titel: 0514 - Der Schädeltempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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ausgewählt hätte, wie sie sich ausdrückten. Sekretärin zum Beispiel. Aber der Stellenmarkt für Sekretärinnen war dünn, und Jeanettes Interesse galt anderen Dingen als Terminkalendern und Diktaten.
    Der Vorgarten wurde von einer Hecke eingefriedet, die sich über dem »Tor« zu einem hohen Bogen emporwölbte. Jeanette suchte in der Handtasche schon mal nach dem Haustürschlüssel, schritt durch den Torbogen hindurch und auf den Riesenschädel unter hitzeflirrendem Gluthimmel zu.
    ***
    Direkt neben Zamorra wurde der Bärtige sichtbar. Zuerst war da ein schwaches Flimmern, das sich verdichtete, und schließlich stand der massige Hüne auf den regenfeuchten Pflastersteinen des Hofes. Die Außenbeleuchtung des Schloßes verlieh ihm eine eindrucksvolle Lichtaura. Der Federbusch an seinem breitkrempigen Hut wippte leicht hin und her. Der Bärtige stellte einen Fuß auf die Stoßstange des Wagens, ließ das Fahrzeug leicht hin und her wippen.
    »Gewährt«, sagte er mit seiner volltönenden Baßstimme. »Du beginnst zu lernen. Aber du scheinst es als Spiel anzusehen.«
    »Kein Spiel«, erwiderte Zamorra. »Wenn Menschen verschwinden, ist es kein Spiel mehr. Wärst du ein Schwarzmagier, hätte ich dich bereits unschädlich gemacht.«
    »Sagen wir einmal so: Du hättest es versucht - Sklave.« Er lachte dröhnend. »Das gefällt dir nicht, wie? Nun komm schon, gib mir eins aufs Maul dafür oder halte mir einen Vortrag über Menschenwürde und die Freiheit des Individuums. So frei bist du doch gar nicht! Man zwingt dich, Steuern und Sozialabgaben zu zahlen. Du arbeitest als Knecht einer Gemeinschaft, die du dein Volk nennst, und gibst dich damit zufrieden, was die Regierenden dieser Gemeinschaft dir übriglassen, nachdem sie sich selbst ihre Taschen gefüllt haben.«
    »Du scheinst dich da ja verflixt gut auszukennen, Freundchen«, sagte Zamorra. Er wog den Dhyarra-Kristall in der Hand. »Nachdem du mir so explizit meine Situation geschildert hast, kannst du sicher ebenso präzise erklären, wer du bist und was du hier willst.«
    Der Bärtige verdrehte die Augen und brachte den Wagen stärker zum Wippen. »Hast du vorhin in der Schänke nicht zugehört? Ich bin ein Sucher. Ein drittes Mal sage ich es dir nicht.«
    »Und was suchst du? Oder wen? Menschen, die du verschwinden lassen kannst? Was soll überhaupt dieser ganze Zirkus, den du um dich herum veranstaltest?«
    »Das sind«, der Sucher zählte an den Fingern ab, »vier Fragen. Welche möchtest du beantwortet bekommen?«
    Zamorra glitt von der Motorhaube herunter. »Anscheinend«, sagte er, »kann man mit dir nicht vernünftig reden. Anscheinend bist du aber auch für das Verschwinden von Pascal Lafitte und Andre Goadec verantwortlich. Du hast vorhin meine schlechte Gastfreundschaft bemängelt. Ich setze jetzt noch einen gröberen Klotz auf den groben Keil: Tauchen die Verschwundenen nicht in spätestens einer Stunde wieder quicklebendig auf, mache ich dir die Hölle heiß. In der Zwischenzeit hast du Château Montagne zu verlassen. Haben wir uns verstanden? Ich habe dich nicht eingeladen, und ich will dich hier keine Sekunde länger als nötig sehen.«
    Der Hüne lachte.
    »Kecke Rede, Verehrtester. Wenn ich verschwinde, wie willst du mich dann zur Rechenschaft ziehen, wenn ich die Verschwundenen nicht zurückhole?«
    Zamorra stand dicht vor dem Fremden. Er sah ihn durchdringend an.
    »Ich werde dich finden, verlaß dich drauf.«
    »Und wie? Du weißt ja nicht einmal, wo du mich suchen könntest.«
    Zamorra schüttelte langsam den Kopf. »Du willst doch etwas von mir, oder warum wuselst du ausgerechnet hier herum? Also wirst du in meiner Nähe bleiben, Sucher. Und selbst wenn nicht: Ich finde dich, sei unbesorgt. Und ich werde dich für deine gefährlichen und menschenverachtenden Spielereien zur Rechenschaft ziehen.«
    Der andere trat einen Schritt zurück. »Glaubst du, du hast die Macht, deine Drohung in die Tat umzusetzen?«
    »Ich drohe dir doch gar nicht«, erwiderte Zamorra spöttisch. »Drohungen sind etwas für Schwächlinge. Ich teile dir nur mit, was geschehen wird. Und jetzt verschwinde. Du hast eine Stunde Zeit. Dann will ich ein direktes Lebenszeichen der Verschwundenen. Wenn nicht, kannst du dich auf einiges gefaßt machen.«
    Er wandte sich ab und ging zurück ins Gebäude. Er sah sich nicht mehr um. Sonst hätte er bemerkt, wie unglaublich verblüfft der Bärtige plötzlich aussah.
    ***
    Jeanette Brancard wirbelte herum. Instinktiv versuchte sie,

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