0514 - Der Schädeltempel
bin ich eine Fragende. Schlaues Kindchen! Vielleicht kannst du dich ja auch mal als Antwortende präsentieren und mir erzählen, was dieser ganze Quatsch eigentlich soll!«
»Ich bin nicht die Antwortende. Ich bin die Hoffende.«
»Heilige Einfalt!« stöhnte Jeanette auf. »Verstehst du mich nicht? Ich-fragen-du-antworten! Wo bin ich?«
»Das hat dir der Sucher nicht gesagt?« staunte die Hoffende. »Ich verstehe das nicht. Dann… dann kannst du nicht der Richtige sein. Dann bist du auch der Falsche.«
»Mir reicht’s jetzt«, stellte Jeanette fest. Sie kehrte in ihrer Fußspur zurück bis zu deren Anfang.
»Was tust du?« fragte die Hoffende überrascht.
»Sieht fast so aus, als wolle ich hier abwarten, bis ich aus diesem verrückten Alptraum wieder erwache, um dann meinen normalen Weg fortzusetzen, oder?«
»Dein normaler Weg führt dorthin.« Die Hoffende deutete mit ausgestrecktem Arm auf die Schädelöffnung, das riesige Maul, das wie ein offenes Tor aussah. »Geh hinein.«
»Ich wüßte nicht, warum.« Jeanette war es endgültig leid, sich mit diesem verrückten Spuk auseinanderzusetzen. Sie kauerte sich in den heißen Sand. Hier wollte sie abwarten, bis ihre Umgebung sich wieder veränderte und sie nach Hause entließ. Sie war nicht gewillt, als Figur im Spiel eines Unbekannten hin und her geschoben zu werden.
Die Hoffende wandte sich wortlos ab und kauerte sich wieder in den Sand, mit dem Rücken zu Jeanette und den riesigen Schädel ansehend.
Einige Minuten vergingen.
Dann kamen die anderen…
***
Drinnen lehnte sich Zamorra an die Wand und atmete tief durch. Er fragte sich, ob er den Bogen nicht überspannt hatte. Was, wenn er den Fremden völlig falsch einschätzte? Wenn es Zusammenhänge und Hintergründe gab, die er überhaupt nicht durchschauen konnte? War sein Verhalten dann nicht ein vielleicht verhängnisvoller Fehler?
Wenn der Fremde für das Verschwinden von Pascal und André verantwortlich war und jetzt tatsächlich verschwand, um nicht wieder zurückzukehren… was dann?
Immerhin blieb die Hoffnung, daß Nicole mit dem Amulett per Zeitschau etwas über das Verschwinden der beiden herausgefunden hatte.
Aber schon eine Viertelstunde später wurde er enttäuscht. Nicole war aufgetaucht. Er nahm sie draußen in Empfang und stellte dabei fest, daß der Bärtige nicht mehr da war. Entweder war er tatsächlich verschwunden, oder er trieb sich irgendwo wieder unsichtbar in der Nähe herum.
Nicole zuckte mit den Schultern. »Nichts. Sie sind einfach so verschwunden, von einem Moment zum anderen. Kein Weltentor, keine magische Aura, nichts. Es ist, als würdest du einen Schatten an die Wand werfen, und plötzlich erlischt die Lichtquelle. Dann wird’s dunkel, und es gibt im Dunkeln auch deinen Schatten nicht mehr…«
»Das gefällt mir überhaupt nicht«, murmelte Zamorra.
»Was ist mit dem Besucher?« wollte Nicole wissen.
Zamorra legte einen Arm um ihre Taille und führte sie ins Château. »Es war unser Freund aus Mostaches Durstbeseitigungsinstitut. Er ließ hier ein paar Zwerge herumturnen und sein Vehikel als sprechendes Motorrad durch Wände sausen. Aber jetzt scheint er fort zu sein. Ich habe ihm ein Ultimatum gestellt.«
Nicole ließ sich in dem großen Vorraum in einen Sessel fallen. »Wie bitte?«
Zamorra zuckte mit den Schultern und lieferte ihr einen Kurzabriß des Geschehens.
»Hoffentlich geht das gut«, überlegte Nicole. »Vielleicht sollte ich noch einmal versuchen, mit dem Amulett herauszufinden, wohin dieser… äh… ›Sucher‹ verschwindet. Vielleicht führt uns das auf die richtige Spur. Du hast ihn also zuletzt draußen am Wagen gesehen.«
Zamorra nickte.
Nicole erhob sich und ging nach draußen, um einen erneuten Blick in die Vergangenheit zu werfen. Zamorra fragte sich derweil, was er Nadine Lafitte erzählen sollte. Immerhin würde schon bald der Moment kommen, wo es sie mit den Kindern heimwärts zog. Und dann würde sie feststellen müssen, daß ihr Mann fort war… Zamorra wollte diese unfrohe Botschaft so lange wie möglich von Nadine fernhalten. Er hoffte immer noch, daß Pascal rechtzeitig wieder auftauchte. Wenn aber der Sucher nicht spurte, sondern es auf eine Konfrontation ankommen ließ, was dann?
Daß mittlerweile noch zwei weitere Menschen verschwunden waren, ahnte Zamorra nicht…
Nach einer Weile kam Nicole wieder zurück. »Bist du sicher, daß du dich da draußen mit diesem graubärtigen Unikum unterhalten hast?«
Zamorra
Weitere Kostenlose Bücher