0519 - Das Auge von Atlantis
meine Bemühungen zu freuen.
Mein eigentliches Ziel war nicht die Videothek. Ich wollte dorthin, wo sich der Club befand. Davon hatte mir Lady Sarah berichtet.
Dieser sogenannte Club war nur für bestimmte Mitglieder unter den Besuchern von Sandras Höllenparadies geöffnet.
Ich konnte mir sehr gut vorstellen, daß sie sich in ihren Clubraum zurückgezogen hatte. Neben der breiten Verkaufstheke war die Tür zu diesem Zimmer. Hinter dem Tresen stand niemand mehr. In der Kaffeemaschine schimmerte noch der Rest einer braunen Brühe.
Ich hätte mir die Monstren gern näher angesehen, aber ich wollte so rasch wie möglich zu Lady Sarah und versuchen, sie irgendwie aus ihrer Lage zu befreien.
Direkt vor dem Rechteck, das sie eingeschlossen hatte, blieb ich stehen. Meine Fußspitzen berührten den Rand. Die beiden Skelette und auch Lady Sarah befanden sich innerhalb des Quadrats, sonst niemand. Sie sah mich und nahm mich trotzdem nicht wahr. Ihr aus der Tiefe auf mich gerichteter starrer Blick klebte förmlich an mir, aber sie nahm mich einfach nicht wahr. Ihre Sinne reagierten nicht.
Das Menschliche war in ihr ausgeschaltet worden.
Ich sprach sie trotzdem an.
Meine Worte drangen ihr als scharfes Flüstern entgegen. Ich hatte mich dabei gebückt, einen Finger angewinkelt und klopfte mit dem Knöchel auf den Untergrund.
Das Geräusch klang nicht hohl, es gab auch kein Echo. Dafür hörte es sich irgendwie dumpf und satt an, als wäre unter dem Quadrat alles gefüllt gewesen.
Wie konnte ich diese Sperre brechen?
Sie war nicht normal, beruhte auf der einen Magie. Und Magie mußte man mit einer Gegenkraft bekämpfen.
Mit meinem Kreuz, zum Beispiel!
Vielleicht konnte ich die Grenze zu dem unter mir liegenden Pandämonium aufreißen, möglicherweise aber zerstörte ich auch vieles.
Dieses Risiko wollte ich nun doch nicht eingehen. Vielleicht war es besser, sich auf Sandra zu konzentrieren. Wie ich sie einschätze, würde sie mir bestimmt Antworten auf meine Fragen geben. Sandra gehörte zu den Personen, die sich stets auf der Siegerstraße sahen und dementsprechend eingebildet waren.
Mein Weg führte mich links am Verkaufstresen vorbei. Ich mußte, um hinter die Theke zu gelangen, eine Klappe hochheben. Erst dann geriet ich in die Nähe der anderen Tür.
Zuvor warf ich einen Blick zurück. Der Bobby hatte Hilfe bekommen. Andere Kollegen bildeten eine Kette aus Menschenleibern, um die Neugierigen auf Distanz zu halten.
Ich hob die Klappe an. Sie strich mit der Schmalseite dicht an meinem Gesicht vorbei. Gekippt ließ ich sie auf der Verkaufstheke liegen. Jetzt war der Weg frei.
Möglicherweise erwartete Sandra mich, denn sie hatte die schmale Tür nicht geschlossen. Es war wie eine Einladung für mich.
Daß der Fall eine derartige Wendung nehmen würde, hätte ich nicht gedacht. Dabei hatte er recht harmlos begonnen. [1] Ich war von meinem Chef, Sir James Powell, zu einem Gespräch in einem Londoner Pub eingeladen worden. Es ging um einen Fall, der mehr als zwanzig Jahre zurücklag. Damals war es den Beamten vom Yard gelungen, durch die Hilfe eines ehemaligen Kollegen namens Rick Malone einen zehnfachen Triebmörder zu fangen. Malone hatte diesen Menschen gestellt, dann aber mit ansehen müssen, wie dieser in den Sog eines gewaltigen Auges geraten und von der Pupille ver schluckt worden war. Der Killer mit dem Namen Uncle Willy hatte nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden können.
Er kehrte zurück. Mehr als zwanzig Jahre später war er wieder da und warnte Sir James. Der setzte sich mit Malone in Verbindung, und ich traf beide in dem Pub. Dort erzählte mir Sir James dieses ungewöhnliche Erlebnis. Mein Chef rechnete fest damit, daß sich Willy rächen würde.
Was er auch tat.
Nicht Sir James wurde getötet, sondern Rick Malone. Als Folge davon bekam Sir James einen besonderen Leibwächter zugeteilt, nämlich meinen Freund und Kollegen Suko.
Nach dem Gespräch im Pub war ich zur zweiten Verabredung des Abends gefahren. Lady Sarah hatte mich gebeten, zu ihr zu kommen. Auch Jane Collins war natürlich anwesend, und von Lady Sarah erfuhr ich etwas über »Sandras Höllenparadies«, dieser ungewöhnlichen Videothek, die der Horror-Oma nicht geheuer war, denn der Raum besaß ihrer Meinung nach ein magisches oder gefährliches Fluidum. Sie hatte mich neugierig gemacht. Noch neugieriger wurde ich, als ich das Emblem der Videothek sah. Es war ein großes, blaues Auge, von dem Malone berichtet und das ich
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