0519 - Schatten des Grauens
logischen Möglichkeiten überprüft und abgelehnt?«
»Richtig.«
Zamorra lehnte sich zurück und schloß die Augen. »Ein Psychokinet«, sagte er. »Jemand, der Dinge durch Geisteskraft bewegen kann. Solche Talente sind jedoch selten dermaßen stark ausgeprägt, um eine solche Sabotage begehen zu können. Aber da Sie vorher diesen Schatten erwähnt haben, nehme ich mal an, daß Sie Zusammenhänge sehen. Der Schatten, der den Taschendieb zu Fall brachte, könnte auch der Fotografenmörder sein. Stimmt’s, oder habe ich recht?«
»Das wäre etwas zu gewagt kombiniert, Zamorra. Aber es wäre immerhin eine Möglichkeit. Rätselhaft bliebe jedoch, warum ein Mörder einen Dieb zur Strecke bringen sollte. Es sind zwei rätselhafte Fälle, soviel ist klar, und beide wären eher etwas für Sie. Und ich werde den Teufel tun, die Akten zu schließen oder auch nur Ihren Namen darin zu erwähnen. Ich würde Sie allerdings unterstützen, wenn Sie bereit wären, sich der Sache einmal anzunehmen. Ich kann schließlich keinen Haftbefehl für einen Schatten ausstellen lassen.«
»Weil du dich damit nur selbst lächerlich machen würdest«, warf Nicole ein. »Ein Schatten, der sich selbständig bewegt, Zamorra - an wen erinnert uns das?«
»An Leonardo deMontagne, nur ist der seit mehr als zwei Jährchen mausetot und kann seinen Schatten deshalb nicht mehr auf andere Leute hetzen. Außerdem würde es nicht zu ihm passen, einer alten Dame bei der Jagd auf Taschendiebe behilflich zu sein. Er würde eher umgekehrt agiert haben.«
»Trotzdem, es wird langsam interessant«, stellte Nicole fest. »Pierre, wenn Zamorra vorübergehend doch auf Eis gelegt werden sollte, kümmere ich mich um die Sache. Ich hab’ was gegen wildgewordene Schatten.«
»Vor allem, wenn sie vielleicht morden«, fügte Zamorra düster hinzu. »Wir kümmern uns darum, Chefinspektor.«
***
Francine Belo hatte mehrere Pfunde an Gewicht verloren und stand inzwischen vor dem allmorgendlichen Problem, die Ringe unter ihren Augen zu überschminken. Ihr fehlte Schlaf. Sie war ständig müde, aber sie fand keine Ruhe. Häufig schreckte sie aus Alpträumen hoch. Und sie ahnte, daß diese Alpträume erst enden würden, wenn sie die Kontrolle über ihren Schatten gewann.
Sie versuchte es immer wieder, Tag für Tag, vernachlässigte dabei sogar ihre Arbeit und bekam dadurch Ärger mit ihrem Chef. »Nehmen Sie Urlaub«, hatte er sie schließlich angefaucht und ihr dabei zu verstehen gegeben, daß die einzige Alternative den unfreundlichen Namen »Kündigung« trug: »Ich kann es mir nicht mehr leisten, jemanden fürs Nichtstun und eine neunzigprozentige Fehlerquote zu bezahlen!«
Aber sie konnte doch nicht schon im Februar ihren Jahresurlaub nehmen -und sie ahnte, daß selbst der ihr nicht reichen würde!
Plötzlich sah sie ihren Schatten vom Schreibtisch weg zur Tür kriechen, während sie selbst vor dem PC saß und an einem Präsentationstext arbeitete. Gerade hatte sie an ihren Chef gedacht und in ihren Gedanken den Wunsch geäußert, daß er sich einen Arm oder ein Bein brechen möge, damit er für ein paar Tage ausfallen würde; Tage, die ihr Aufschub geben würden.
»Halt!« stieß sie hervor.
Ihre Kollegin am Nebengerät sah auf. »Was ist, Francine?«
Aber sie antwortete nicht. Blitzartig konzentrierte sie ihre Gedanken auf den Schatten, der gerade die Tür erreicht hatte und unter ihr hindurch ins Chefzimmer fließen wollte.
»Nein… nicht…! Bleib hier! Komm zurück!«
Sie begriff nicht, daß sie ihre Gedanken in Worte gekleidet hatte, Yvette, ihre Kollegin, sicherte per Tastendruck ihre Daten, sprang auf und kam zu Francine herüber. »He, was ist mit dir?«
Francine sah und hörte nichts mehr - außer ihren Schatten.
Der stoppte, schon halb unter der Tür, und kroch zurück!
Er kam wieder zu Francine!
Gehorchte ihrem Willen!
Er huschte nicht ins Nachbarbüro, um dem Chef einen Arm oder ein Bein zu brechen!
Tief atmete Francine durch und lehnte sich zurück. Dabei kippte sie fast mit ihrem Drehstuhl um. Yvette konnte sie gerade noch festhalten. »Francine, bist du krank?«
Da lachte sie ihre Kollegin an.
»Yvette, ich bin nie so gesund gewesen wie in den letzten fünf Minuten, aber jetzt muß ich den Chef doch fragen, ob er mir für den Rest des Tages Urlaub gibt! Meinst du, er tut das?«
Und wie gern er es tat! »Mademoiselle Belo, Sie können gern Ihren kompletten Jahresurlaub haben, weil das momentan ohnehin nicht auffällt. Ihre
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