052 - Die Schlangengrube
Pickfords Stricknadeln klapperten.
»Dieses Fernsehprogramm ist eine Zumutung«, schimpfte Sullivan. »Und dafür zahlt man nun Gebühren!«
»Weshalb sehen Sie es sich denn dann an, Trevor?«, fragte Coco.
»Was soll ich denn sonst tun? Den ganzen Tag arbeitet man hart, und wenn man am Abend ein wenig Entspannung und Abwechslung sucht, wird einem so ein Käse vorgesetzt. Eine Schande ist das!«
Trevor Sullivan, ein älterer Mann mit einem Geiergesicht, der frühere Leiter der inzwischen aufgelösten Inquisitionsabteilung, hatte ein cholerisches Temperament.
»Wenn das Fernsehen Sie nicht interessiert, werden Sie sicher gern bereit sein, über den Computer ein paar Daten aus unserem Archiv abzufragen«, sagte Dorian. »Es geht um eine Zigeunersippe namens Amalfi. Das Oberhaupt ist ein gewisser Raffael Amalfi. Er reist mit einer Monstrositätenschau durch die Lande.«
Sullivan wollte schon ablehnen, da stutzte er. Ihm fiel etwas ein.
»Amalfi, Amalfi … Den Namen habe ich doch schon irgendwo einmal gehört. Haben Sie etwas Bestimmtes im Auge, Dorian?«
Mit einem Seitenblick auf Miss Pickford, zu der er nicht gerade ein ungetrübtes Verhältnis hatte, sagte Dorian: »Das besprechen wir besser draußen oder gleich in den Räumen der Mystery Press .«
Trevor Sullivan brummelte noch etwas wegen des Fernsehprogramms, dann stand er auf und folgte Dorian Hunter. Miss Pickford blieb mit ihrem Strickzeug allein vor dem Fernseher zurück.
Dorian ging mit Trevor Sullivan nach unten. Im zweiten großen Keller war eine Presseagentur eingerichtet worden, die Mystery Press . Sie war nichts Großartiges, mehr eine Art Beschäftigungstherapie für Trevor Sullivan, wie Dorian einmal im Spott zu Coco gesagt hatte. Die Wände bedeckten Regale mit Karteikästen voller Akten und Schnellhefter. In der Mitte des Raumes stand ein großer Vielzwecktisch mit Zeichengeräten, einem Film- und einem Diaprojektor. Dem Eingang gegenüber hing eine große Weltkarte von vier mal acht Metern. Einige Nadeln in verschiedenen Farben bezeichneten die Orte, an denen sich Fälle abspielten oder abgespielt hatten, die mit dämonischem Wirken zu tun hatten. Links vom Eingang stand Trevor Sullivans Arbeitstisch mit einem Rechner, daneben Telefon- und Faxanlage.
Trevor Sullivan und der Zwergmann Donald Chapman erledigten die bei der Mystery Press anfallenden Aufgaben größtenteils allein. Sullivan hatte sich mit der Mystery Press einen alten Wunsch erfüllt. Im Grunde seines Wesens war er ein Schreibtischmensch, dem die praktische Dämonenbekämpfung nicht sehr lag.
»Raffael Amalfi«, murmelte Trevor Sullivan und tippte den Namen ein.
Der Computer arbeitete, nach einigen Sekunden schon erschienen Angaben auf dem Monitor. Sullivan überflog sie.
»Gar nicht so wenig. Es liegt einiges Material vor. Ich wusste es doch!«
»Soll ich Ihnen helfen, die Sachen herauszusuchen?«, fragte Dorian.
»Bloß nicht! Sie haben mir das letzte Mal die Akten durcheinander gebracht. Ich werde etwa zwei Stunden brauchen. Sehen Sie fern, oder lesen Sie ein Buch!«
Dorian ließ Sullivan allein und schaute sich mal wieder seine Reliquien- und Dokumentensammlung im Nebenraum an. Folterinstrumente und andere Dinge, die Dorian von allen Orten der Welt mitgebracht hatte, hingen an der Wand oder waren in Vitrinen untergebracht. Auch Marvin Cohens Pistole befand sich bei der Sammlung.
Dorian nahm sie aus der Vitrine, betrachtete sie, strich über das kühle Metall. Wie oft hatte er sich über Marvin Cohen geärgert, diesen groben und brutalen, polternden Kerl, der innerlich auch seine weichen Seiten gehabt hatte. Jetzt, nachdem er tot war, gestorben im Kampf gegen die Dämonen, zusammen mit Dorian Hunters Frau Lilian, die er geliebt hatte, trauerte Dorian um ihn.
Die Zeit verging schnell. Als Trevor Sullivan die Tür öffnete, wollte Dorian kaum glauben, dass schon zwei Stunden vergangen waren. Er ging hinüber in den anderen Raum.
»Gar nicht so wenig Material«, sagte Sullivan. »Ich will das Wichtigste zusammenfassen.«
Dorian steckte sich eine Players an und wartete.
»Die Amalfis sind im letzten Jahr von Spanien nach Deutschland gereist und haben sich von Calais aus mit ihren Wagen nach England schiffen lassen. Aus früheren Jahren existieren keine Berichte, aber in diesem Jahr hat es vier eigenartige Vorfälle gegeben. Jedes Mal verschwanden eine oder auch mehrere Personen. In einem Dorf in der Nähe von Madrid verschwand eine Frau unter mysteriösen
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