0522 - Er kam aus dem Todesschloß
nicht. Du bist noch ebenso ichbezogen wie früher.« Er bekam das Revers des Mantels zu fassen und schüttelte Professor Wayne durch.
»Nein, Orrie, das stimmt doch nicht. Es ist alles anders. Auch ich werde nicht mehr so weitermachen können wie bisher. Man wird mich ebenfalls bestrafen.«
»Möchtest du in eine Zelle?« fragte Orrie.
»Darauf wird es hinauslaufen.«
»Daddy, da weiß ich was Besseres«, flüsterte er heiser. »Wir gehen gemeinsam zu deiner Burg. Das Verlies dort ist noch frei. Ich bin ja nicht mehr da. Für dich wäre es ideal. Du verbringst die nächsten fünf Jahre so, wie ich die letzte Zeit verbracht habe. In einem stinkenden, verseuchten, widerlichen Verlies. Du brauchst mich doch nur anzuschauen, wie ich aussehe. Dann weißt du, was dir blüht, du verdammter Hund!«
»Lieber bringe ich mich um!«
»Du willst also nicht? Ich wollte damals auch nicht. Ich habe dich angefleht, aber du hast kein Erbarmen gekannt. Jetzt werde ich kein Erbarmen kennen.«
»Dann mußt du mich schon umbringen.«
»Das mache ich auch.«
»Es gibt Zeugen!«
Orrie lachte. »Diesen John Sinclair, von dem Julie so oft geredet hat?«
»Zum Beispiel.«
Er winkte ab. »Vergiß ihn. Julie wird sich um ihn kümmern. Sie haßt ihn so, wie ich dich auch hasse.«
»Hinter mir steht eine Frau, die mich beobachtet«, erklärte Professor Wayne so ruhig wie möglich.
»Sie hätte nicht mitfahren sollen.«
»Heißt das, daß du sie auch…?«
»Durchaus möglich, Daddy!« Das letzte Wort war ein einziger Schrei. Er kam noch etwas näher und hob die Axt. Seine Augen hatten einen Fieberglanz bekommen.
Professor Wayne spürte, wie tief in seinem Innern ein nie gekanntes Gefühl hochstieg.
Todesangst…
»Ich glaube«, flüsterte sein Sohn, »es wird besser sein, wenn ich es jetzt und hier tue…«
Orrie hob die tödliche Axt zum Schlag…
***
»Ich glaube, daß es nicht besser ist!« sagte ich hart und noch in Orries Worte hinein. Gleichzeitig verließ ich den Wohnwagen, in dessen Türrechteck ich so gestanden hatte, daß mich Orrie nicht hatte sehen können. Ich war der Unterhaltung gefolgt und griff erst jetzt ein. Mit gezogener Beretta ging ich einige Schritte vor.
Orrie Wayne stand wie versteinert in seiner schlagbereiten Haltung. »Geh nicht weiter!« keuchte er. »Bleib nur stehen, wo du bist, sonst töte ich ihn jetzt!«
»Meine Kugel ist schneller!«
Er lachte schrill. »Nein, sie ist nicht schneller. Oder vielleicht ist sie doch schneller. Was immer auch geschieht, wenn sie mich trifft, werde ich noch die Kraft haben, mich nach vorn zu werfen. Ich erwische ihn immer, du Verräterschwein!«
»Die Sache ist zwischen mir und Julie geklärt worden!«
»Tatsächlich?«
»Ja, du kannst sie fragen!« Ich hoffte, Zeit zu gewinnen, um ihn möglichst lange von seiner schrecklichen Bluttat abzuhalten. Damit schien ich Glück zu haben, denn Orrie zeigte sich etwas verunsichert.
Ich ging noch zwei Schritte näher.
»Bleib stehen, verdammt!«
»Schon gut, Orrie, schon gut!« Ich stoppte.
Die Szene hatte durch mein Eingreifen nichts an drückender Spannung verloren. Sie stand nach wie vor auf des Messers Schneide. Orrie war bereit, einen Mord zu begehen. Er hatte sich darauf versteift und stand dabei so günstig, daß Professor Wayne es nicht wagen konnte, sich zu bewegen und wegzulaufen.
Eine Lösung war schwer, das wußte ich, und sie müßte mir verdammt schnell einfallen.
»Er hat Angst« sagte Orrie. »Ja, ich sehe, daß er zittert. Mein eigener Vater hat Angst vor mir. Früher habe ich vor ihm gebebt. Jetzt ist es umgekehrt. Ich fühle mich gut, so verdammt gut…«
Dann hatte er eine andere Idee. »Knie nieder, Daddy! Los, runter mit dir! Ich will, daß du vor mir auf die Knie fällst!«
»Aber ich…«
»Runter mit dirrrr…!« brüllte er.
Professor Wayne schrak zusammen. Er litt in diesen Augenblicken, machte viel durch, aber konnte ich mit ihm Mitleid haben? Mit einem Menschen, der seinen eigenen Sohn, einen dreifachen Mörder, für Jahre eingesperrt hatte?
Wayne bewegte sich. Er tat dies langsam, eher zögernd, und Orrie stieß ein Knurren aus wie ein Tier.
Dann fiel sein Vater vor ihm auf die Knie!
Orrie jubelte. Dabei hielt er seine Waffe so fest, daß er beim ersten Schlag den Hals treffen konnte.
»Jetzt habe ich dich, wo ich dich hinhaben wollte! Du wirst mir nicht mehr gefährlich werden können, du…«
Er wollte schlagen, das war ihm anzusehen, jetzt mußte sich alles
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