0524 - Er raubte die mordende Göttin
Behausungen und gewaltige Gräber. Ägypten war plötzlich »in« geworden. Unzählige Touristen karrte man an die historischen Orte, die von Leuten aus aller Welt staunend betrachtet wurden.
Es gab auch andere Orte, die jenseits der Touristenrouten lagen und noch immer den Schlaf der Einsamkeit schliefen.
Wo die Wüste endete und die Felsenberge begannen, lag die alte Totenstadt, in der vor mehr als 2500 Jahren eine Frau und Mörderin namens Phädra ihre letzte Ruhestätte erhalten hatte.
Die Gräber waren zwar gefunden und auch freigeschaufelt worden, aber man hatte sie noch nicht so genau untersucht. Sie lagen einfach zu weit entfernt. Die Einsamkeit der Wüste konnte als menschenfeindlich bezeichnet werden. Zudem besaß der ägyptische Staat nicht die finanziellen Mittel, um alle historischen Stätten seines gewaltigen Reiches zu untersuchen.
Natürlich kannte man den alten Friedhof. Da er jedoch nur Felsengräber enthielt und keine prunkvollen Pyramiden, hatte man beschlossen, seine genaue Untersuchung auf die nächsten Jahre zu verschieben.
Das kam dem Mann namens Ramir Ghur sehr gelegen. Niemand interessierte sich für ihn, als er nach Ägypten einreiste und sich auf den Weg in den Süden des Landes machte.
In England hatte er untertauchen müssen. Es war ihm auch gelungen, und er hatte es geschafft, die Polizei lächerlich zu machen.
Allerdings ärgerte er sich darüber, daß sein großer Plan, zahlreiche Diener um sich zu scharen, gescheitert war. Er hatte den Grundstock bilden wollen, einen Nährboden für die alten, schrecklichen Totenlehren, doch man war ihm zu schnell auf die Spur gekommen.
Also hatte er seinen Plan geändert und befand sich schon jetzt auf dem Weg in die Totenstadt.
Er war mit dem Zug gefahren, hatte sich in Assuan einen Wagen geliehen, dem auch zugewehte Wüstenpisten nichts ausmachten und befand sich nun in der völligen Einsamkeit des gewaltigen Landes Ägypten.
In Ramir Ghur steckte das Wissen der Jahrtausende. Vor zwei Jahren hatte er gespürt, daß er anders war als die übrigen Menschen.
Ohne etwas gelernt oder sich angelesen zu haben, wußte er über Dinge Bescheid, die längst verschüttet waren. Begraben von der Zeit, verschwunden im Mahlstrom der Geschichte.
Doch er würde sie aufwecken, denn er hatte sich an einen entscheidenden Traum erinnert, der regelmäßig wiederkehrte und ihm ein Ziel vor Augen brachte – eben die Totenstadt.
Dort mußte er hin. Unbedingt und so schnell wie möglich.
Ein kleiner Sandsturm hatte ihn aufgehalten und zwei Tage gekostet. So erreichte er das Felsengebirge erst später und vor allen Dingen bei Dunkelheit.
Der Geländewagen wühlte sich durch den weichen Sand, der manchmal unter den starkprofiligen Reifen regelrecht wegschwamm. Wege gab es nicht mehr, höchstens Pisten, aber auch die verschwanden allmählich, so daß er sich vorkam wie auf einem gewaltigen Tablett, an dessen vorderer Grenze etwas blauschwarz schimmerndes wie eine riesige Mauer in den Nachthimmel raste.
Die Felsenberge waren eine Barriere. Hier kam er mit dem Wagen nicht mehr weiter. Er mußte ihn stehenlassen und seinen Weg zu Fuß fortsetzen. Nahe einer vorspringenden Wand hielt er an und stieg aus.
Der Wind hatte sich abgekühlt. Noch immer jedoch schleuderte er den feinen Sand gegen den Fels, und auch der einsame Mann wurde von den Körnern regelrecht besprüht.
Ramir Ghur trug die Khakikleidung, die ihn am besten vor der Hitze schützte. Jetzt allerdings fing er fast an zu frieren, so kalt war es geworden.
Er nahm eine starke Lampe mit und sicherheitshalber auch einen Pickel. Es konnte durchaus sein, daß er sich den Weg zum Ziel freischlagen mußte. Dann tauchte er ein in die dunklen Schatten der Felsen und bewegte sich direkt auf den alten Friedhof zu.
Plötzlich geschah etwas Seltsames.
Ramir Ghur blieb stehen, weil er den Eindruck hatte, als wäre er nicht zum erstenmal in dieser Gegend.
Ja, er kannte sie genau. Er wußte plötzlich, wohin er zu laufen hatte, als wäre er schon mehrmals an diesem Ort gewesen.
Noch etwas geschah. Es hing möglicherweise mit dem Kreislauf zusammen. Jedenfalls rauschte das Blut durch seine Adern. Sein Gesicht fing an zu brennen, und auch das kannte er.
Mit beiden Händen strich er über die Haut. Hinter seiner Schädeldecke schien sich jemand versteckt zu halten, der ihm durch flüsternde Worte zu verstehen gab, was er tun sollte.
Ramir Ghur hatte das Gefühl, als bestünde er selbst aus zwei Personen.
Zwei in
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