0525 - Tödliche Fotos
Tanner stand und Pfeife rauchte. »Haben Sie schon festgestellt, wann Judy Landers gestorben ist?« Auf seine Antwort kam es mir an, denn ich wollte wissen, ob mich der Anrufer nicht belogen hatte.
Der Doc nahm die Pfeife aus dem Mund und nickte. »Der Tod ist etwa vor einer Stunde eingetreten, Mr. Sinclair.«
»Das ist sicher?«
Er schaute mich pikiert an. »Wir kennen uns. Sie müßten wissen, daß ich bei diesen simplen Untersuchungen…«
»Ich weiß, Doc, ich weiß. Aber es ist gerade in diesem speziellen Fall ungemein wichtig.«
»Das meine ich auch«, sagte Tanner mit sehr leiser Stimme.
»Wann, John, hast du das Foto bekommen?«
»Heute morgen.«
»Dann war sie also noch nicht tot?«
»Nein.«
»Aber auf dem Foto war sie schon eine Leiche?«
»Ja.«
Tanner nahm seinen Hut ab. Das geschah bei ihm selten. Er sah aus, als wollte er den alten Filz zerknittern. »Okay, ich bin schon lange im Geschäft. Manche sagen, zu lange. Aber ich habe nicht verlernt, eins und eins zu addieren. Hier geht einiges quer, wie ich mir vorstellen kann. Was ist nun richtig?«
»Der Doc hat recht und ich ebenfalls.«
»Keine Fotomontage?«
»Nein.«
»Was dann? Verdammt!«
Ich zog den Chiefinspektor zur Seite. Nicht jeder sollte mitbekommen, was ich ihm zu sagen hatte. »Tanner, was Sie jetzt hören, klingt so unwahrscheinlich, daß man es kaum glauben kann.«
»Das bin ich von dir gewohnt.«
»Vergiß alles, was du von mir gewohnt bist. Die Aufnahme ist vor dem Mord entstanden. Derjenige, der sie geschossen hat, besitzt eine Kamera, die Bilder mit Vorgängen knipst, die erst in der Zukunft eintreten werden. Klar?«
»Ja!« Er machte einen Schritt zur Seite. »Nein!« rief er und schaute mich an. »Kannst du das noch einmal wiederholen?«
»Sicher.«
Tanner hörte genau zu. Ich hatte sogar den Eindruck, als würde er große Ohren bekommen. Dabei atmete er tief durch. Auch er schwitzte plötzlich und wischte sich Perlen mit einem breiten Taschentuch von Stirn und Wangen.
»Du irrst dich nicht, John?«
»Nein. Man hat mir ein zweites Bild geschickt. Zudem wurde ich angerufen.« Ich holte das Foto hervor und drückte es dem Chiefinspektor in die Hand.
Tanner wurde bleich. Er starrte das Bild an und wollte kaum glauben, was er zu sehen bekam. »Der Tote«, flüsterte er nach einer Weile, »das bist du nicht wahr?«
»So ist es.«
Er gab mir die Aufnahme zurück und bemerkte dabei: »Dann mußt du also damit rechnen, daß dir in naher Zukunft jemand den Schädel einschlagen wird.«
»Genau.«
»Und das sagst du so locker?«
»Es hört sich zwar locker an, aber was soll ich machen? Zudem gehe ich davon aus, daß eine erkannte Gefahr auf die Hälfte ihrer Gefährlichkeit reduziert wird.«
»Darauf würde ich mich nicht verlassen, John.«
»Ich im Prinzip auch nicht. Deshalb werde ich etwas tun. Ich werde diesen Fotografen jagen.«
»Von dem du weder weißt, wie er aussieht, noch seinen Namen kennst.«
»Noch.«
»John, das wird schwer.«
»Weiß ich. Was soll ich machen? Mich in die Wohnung setzen und darauf warten, daß er zu mir kommt und mir den Schädel einschlägt?«
»Das kannst du auch nicht.«
»Ich will die Zukunft manipulieren. Sie soll sich nicht erfüllen können.«
»Viel Glück.« Tanner rieb sein Kinn. »Und wo willst du mit deinen Ermittlungen beginnen?«
Ich wies auf die Tote. »Bei ihr.«
»Tatsächlich?« Tanner nickte. »Ja, du hast recht. Sie ist im Moment die einzige Spur. Dabei stellte sich natürlich die Frage, ob Judy Landers rein zufällig ermordet wurde oder ob dahinter Methode steckt.«
»Mal schauen.«
Ich schrieb mir die Adresse auf. Wir befanden uns hier in South Kensington, einem Künstlervorort, in dem auch alte Londoner Familien schon seit Generationen lebten und diesen Stadtteil mit geprägt hatten. Er war sehr gediegen, hier brauchte man Geld, um die Mieten der Wohnungen oder Häuser bezahlen zu können, falls man nicht Eigentümer war. Viele Künstler hatten sich zu Wohngemeinschaften zusammengeschlossen, so daß die Mietpreise erträglich wurden.
Der Chiefinspektor wünschte uns noch viel Glück und bat darum, informiert zu werden.
»Das versteht sich doch«, sagte ich.
Zwar hatte die Tote in unmittelbarer Nähe gelebt, wir nahmen trotzdem den Rover. Mir fiel dabei auf, daß mich Suko öfter als gewöhnlich von der Seite her beobachtete.
»Habe ich etwas an mir?«
»Nein, nein, schon gut.«
Ich grinste. »Oder fühlst du dich schon jetzt als mein
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