053 - Schrei, wenn dich der Hexentöter würgt
– ranken sich nicht
nur Erzählungen und abergläubische Berichte, sondern in der Tat auch
geschichtliche Eintragungen, die man in der Chronik des Dorfes nachlesen kann.
Schon im 11. und 12. Jahrhundert gab es hier die ersten Siedler. Das ist
urkundlich erwähnt. Aber ich möchte nicht abweichen: noch einmal zum
Thielen-Haus, wie es allgemein genannt wird. In der Chronik steht, daß dieses
Haus Ende des 16. Jahrhunderts tatsächlich von einem Hexenjäger namens Martinus
bewohnt wurde. Dieser Mann war berüchtigt wegen seiner Grausamkeit und seiner Brutalität.
Es ist weiter vermerkt, daß er mindestens 450 junge Hexen eigenhändig
auf den Scheiterhaufen brachte. Von einem Soldaten, der seine Geliebte aus den
Fängen des Hexenjägers befreien wollte, wurde Martinus in die Enge getrieben.
Es gelang dem jungen Offizier, seine Geliebte zu retten. Martinus hatte den
Scheiterhaufen für den kommenden Tag schon vorbereitet. Die Chronik berichtet,
daß er in der gleichen Nacht auf seinem eigenen Scheiterhaufen verbrannte.
Danach entsteht eine größere Lücke, und es wird nicht klar ersichtlich, wem das
Haus dann später gehörte. In den Jahren 1680 bis 1712 soll es von einem Einsiedler
bewohnt worden sein, danach gelangte es dann in den Besitz der Familie
Thielen.“ „Hat man das Haus jemals näher untersucht?“ fragte Larry. „Nein,
weshalb auch?“ Der Bürgermeister verringerte die Geschwindigkeit wegen der schlechter
werdenden Straße. „Das Haus hat zwar geschichtliche Bedeutung, aber die Gemeinde
ist zu arm, um diese Ruine zu restaurieren und als Attraktion herauszuputzen.
Ein Interessent von außerhalb begutachtete einmal das zerfallene Anwesen.
Wahrscheinlich suchte er die legendären Folterkammern, die es angeblich noch
unter den Trümmern geben sollte. Das war noch vor dem Zweiten Weltkrieg, soviel
mir bekannt ist. Offenbar gibt es aber diese Folterkammern nicht mehr, und so
hat sich der Käufer auch nicht wieder gemeldet.“ „Und wenn ich Ihnen sage, daß
es diese Folterkammern doch noch gibt?“ stieß X-RAY-3 hervor. Wergh
atmete hörbar durch die Nase. Er war bleich wie ein Leintuch. „Sie haben vorhin
etwas von einer solchen Kammer erwähnt, ich weiß. Aber da wußte ich nicht, daß
Sie dieses Haus meinten. Ich nehme an, Sie täuschen sich. Sie sind fremd hier...“
„Ich weiß, was ich gesehen habe“, murmelte Larry. Er preßte fest die Augen
zusammen, als müsse er die schemenhaften Nebel, die sich vor seinen Augen zu
bilden begannen, vertreiben. Das typische Zeichen eines Schwächeanfalls. Die
Stärkungsspritze des Arztes wirkte noch nicht.
Larry Brent hatte das Gefühl, er müsse jeden
Augenblick umkippen. „Die Folterkammer war da. Ich könnte Sie Ihnen malen. Und
das Individuum, das sein makabres Spiel dort spielte, hatte keinerlei
Ähnlichkeit mit Michael Thielen. Es war ein Fremder, ein Mann, wie er dem
Aussehen und der Kleidung nach nicht in diese Zeit paßte.
Würden Sie mir nicht sagen, daß dieser Martinus, wie
Sie ihn nannten, schon 1586 von einem Offizier auf einem Scheiterhaufen
verbrannt wurde, ich hielte an meiner Behauptung fest, daß Martinus mir heute
nacht begegnet ist!“
Wergh und der Bürgermeister starrten auf den
Amerikaner, als hätten sie einen Neurotiker neben sich im Wagen – oder einen,
der im Begriff war, seinen Verstand zu verlieren. „Wir werden sehen“, murmelte
der Bürgermeister, dem es offensichtlich peinlich war, dieses Thema
fortzusetzen.
Sie erreichten den schmalen Waldweg, passierten das wie
verloren wirkende Motorrad, das Larry Brent an einem Baumstamm zurückgelassen
hatte. Und dann: Zwischen dunklen Buchen und Fichten, Kiefern, Birken und
Eschen leuchtete es weit über den braunen Ackerboden.
„ Das Haus !“ kam es von den Lippen des
PSA-Agenten. Es stand in hellen Flammen!
Die Männer ließen den Wagen auf der Lichtung stehen
und rannten über das abgefahrene Gras. Die Hitze des Brandherdes schlug ihnen
entgegen. Das alte, morsche Haus war nur noch ein glimmender Aschenhaufen, aus
dem ab und zu noch schmale, längliche Flammenzungen leckten.
„Er hat es niedergebrannt. Er muß noch mal
zurückgekommen sein.“ X-RAY-3 war wie vor den Kopf geschlagen. Da spürte er die
Blicke der beiden Männer, die ihn musterten und las den Zweifel, der auch in
Werghs Augen zu erkennen war. Larry schluckte. „Aber Sie glauben doch etwa
nicht, daß ich...“, murmelte er, und er fand es unsinnig, an diesem Ort und in
diesem Augenblick überhaupt eine
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