0532 - Der Blutschwur
jemand befand sich noch auf den Straßen. Die Bewohner hatten sich in ihre Häuser zurückgezogen und schliefen der Dämmerung entgegen.
Auch ich fühlte mich müde und kaputt, dennoch drehten sich meine Gedanken wie aufgeputscht um den Fall, an dem wir uns bisher die Zähne ausgebissen hatten.
»Diese eine Espresso-Bar ist ja nun nicht mehr«, nahm ich den Gesprächsfaden wieder auf. »Kennen Sie noch andere Treffpunkte, Mr. Mitic?«
»Ja und nein. Es gibt da einige widersprüchliche Aussagen. Wahrscheinlich treffen sich die Typen in dunklen Hinterzimmern oder alten Häusern, die wir nicht kennen.«
»Ja, das kann sein.«
»Wir gehen den Fall morgen früh systematisch an.«
»Heute früh«, sagte Suko.
»Ach ja, stimmt, Mitternacht ist vorbei.« Er lachte leise. »Meine Frau kann uns noch einen richtigen Kaffee kochen. Ich habe einen sehr guten im Schrank versteckt. Er stammt aus Deutschland.«
»Das wäre nicht schlecht«, sagte ich.
Die Innenstadt hatten wir hinter uns gelassen. Der Weg führte jetzt durch einen ruhigen Vorort. Mitic erklärte uns, daß er in der Nähe wohnen würde.
Alte Häuser, sehr klein, von der Dunkelheit geschützt, manchmal schief gebaut, mit Dächern und Fassaden, die auch schon bessere Zeiten erlebt hatten.
Schornsteine schauten wie Finger über die Firste der Häuser empor. Manchmal blitzten auch Fernsehantennen.
Es parkten nicht viele Wagen am Straßenrand. So hätte es auch in London mal aussehen müssen.
Vor einem kleinen Haus stoppten wir. Der Vorgarten war winzig.
Hinter den vorderen Fenstern brannte noch Licht.
Mitic drehte sich vor dem Aussteigen um. »Ich habe mir gedacht, daß Jolanda noch auf ist. Sie macht sich jedesmal große Sorgen. Seit dem Tod unserer Tochter ist es noch schlimmer geworden. Und ich kann Ihnen versprechen, ich hole sie aus dieser verfluchten Erde wieder hervor, in der man sie begraben hat. Das Kind soll ein anständiges Begräbnis bekommen.«
»Das finde ich auch.«
Wir ließen den Kollegen vorgehen. Den Haustürschlüssel hielt er in der Hand. Die Tür war nicht abgeschlossen. Er drückte sie auf und ließ uns eintreten.
Stille empfing uns.
Mitic lächelte. Bei den folgenden Worten dämpfte er seine Stimme. »Ich nehme an, daß Jolanda schon schläft. Links ist der Wohnraum, warten Sie dort bitte.«
»Gut.«
Wir fühlten uns etwas unwohl. Suko zog ein nachdenkliches Gesicht. »Hast du was?« fragte ich ihn.
»Ich weiß nicht.« Er schaute auf ein Foto der Tochter. Um den Rahmen war ein schwarzer Trauerflor geschlungen.
»Vielleicht liegt es an der Stille oder dem fremden Haus, daß ich…«
Da hörten wir den Schrei!
Es war ein schrecklicher Laut, ächzend, stöhnend, von Schmerz gepeinigt. Wir verloren keine Sekunde mehr und fanden das Schlafzimmer, aus dem der Schrei gedrungen war, auf Anhieb.
Dort sahen wir Mitic. Er stand auf der Schwelle und schwankte.
Die Hände hatte er in das Haar verkrallt. Sein stierer Blick war auf das Doppelbett gerichtet. Aus seinem halboffenem Mund rann der Speichel. Er gab Laute von sich, die eine Gänsehaut erzeugten.
Die zweite Gänsehaut bekamen wir beim Anblick der toten Jolanda Mitic. Sie lag quer über dem Bett. Auf ihrem schwarzen Kleid breitete sich in Höhe des Herzens ein Blutfleck aus. Dicht darunter lag als Zeichen eine schwarze Rose.
Die Finsteren hatten sich furchtbar gerächt!
***
Suko zischte plötzlich los. Er kam gerade zurecht, um Mitic auffangen zu können. Unser Kollege konnte einfach nicht mehr. Er gab einen langen Seufzer von sich und sank dem Boden entgegen. In einer Schräglage hielt Suko ihn fest.
Wir waren beide bleich geworden. Mit diesem Horror hätte keiner von uns gerechnet, aber der Tod dieser Frau zeigte uns auch, wie hilflos wir noch immer waren.
Die schwarze Rose hatte sich das schwächste Glied in der Kette ausgesucht, um das starke zu treffen.
Suko hatte den Mann auf einen Stuhl gesetzt. Ich rannte in die Küche, fand dort Schnaps in einem Wandschrank und kippte ein Wasserglas zur Hälfte voll.
Als ich mit der »Medizin« zurückkehrte, japste Mitic nach Luft und weinte gleichzeitig.
»Trinken Sie!« flüsterte ich. Der Schnaps roch nach Pflaume. Mitic gehorchte wie ein kleines Kind. Er trank das Zeug fast gierig, hustete, drückte mir das Glas zur Seite und senkte den Kopf. Das Gesicht verbarg er in beiden Händen.
Wir ließen ihn so sitzen und kümmerten uns um die Tote. Sie war erstochen worden, das konnten wir erkennen, auch ohne Medizin studiert
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