0532 - Der Blutschwur
zu haben.
Suko hatte die Hände geballt. Über die Leiche hinweg trafen sich unsere Blicke. »Sollen wir tatsächlich bis zum Hellwerden warten?« fragte er leise.
»Nein!« erwiderte ich rauh. »Aber wir haben keine Spuren, zum Henker! Wer hat das getan?«
»Sie alle sind schuldig!«
»Ja, kann sein, aber einer wird sie umgebracht haben. Und den finden wir.«
Ein schluchzendes Geräusch ließ uns herumfahren. Mitic hatte seine Hände flach auf die Oberschenkel gelegt. »Ich werde den Killer finden!« flüsterte er. »Ich werde ihn finden, und wenn ich ihn gefunden habe, bringe ich ihn um.«
»Sie sind Polizist, Mr. Mitic!«
»Das interessiert mich nicht mehr!«
»Es muß Sie aber interessieren. Sie sind dem Gesetz verpflichtet!«
Ich sprach eindringlich. »Es gibt Situationen, die eine Grenze der menschlichen Belastbarkeit darstellen, das weiß ich, aber darüber muß man hinwegkommen.«
Er ging auf meine Bemerkung nicht ein, schüttelte den Kopf und flüsterte immer wieder nur ein Wort. »Warum? Warum…?«
Wir konnten ihm keine Antwort geben, denn wir hatten auch nur Vermutungen.
»Jolanda hat keinem Menschen etwas getan. Sie war eine so gute Person, und jetzt das! Ich… ich begreife es nicht.«
Wir dachten ebenso. Überhaupt waren Morde so etwas Sinnloses, verabscheuungswürdiges, dafür gab es einfach keine Entschuldigung. Wir waren alle Menschen, aber auch Polizisten, so schwer es uns in diesem schrecklichen Augenblick auch fiel.
»Mr. Mitic«, sagte ich leise. »Wir müssen unseren Job machen. Wir werden etwas unternehmen, und zwar in dieser Nacht.«
»Was wollen Sie denn tun?« schrie er.
»Wir müssen an die Gruppe herankommen.«
»Und wie?«
Eine gute Frage, doch ich wußte auch eine Antwort. »Durch Ihre tote Tochter, Mr. Mitic. Allein durch Ihre Tochter. Sie müssen sich an Namen erinnern. Sie hatte Freundinnen, Kommilitoninnen, sie hat bei Ihnen gewohnt, ihr Zimmer…«
»Es ist oben!«
»Wir werden es durchsuchen.«
Er lachte freudlos. »Ich glaube kaum, daß Sie damit Erfolg haben werden«, flüsterte er.
»Es bleibt abzuwarten, Mr. Mitic. Kommen Sie mit?«
»Nein, bitte nicht.« Er streckte uns seine Hände abwehrend entgegen. »Ich möchte bei Jolanda bleiben. Verstehen Sie…?«
»Natürlich…«
Suko und ich gingen allein die schmale Treppe hoch. In der oberen Etage schalteten wir das Licht ein und öffneten die erste Tür.
Wir hatten Glück, hier befand sich das Zimmer der toten Tochter.
Bett, Schrank, ein kleiner TV-Apparat, Bilder an den Wänden, die ich mir genau anschaute.
Die Posters zeigten zumeist düstere Motive. Einige von ihnen waren mit Sprüchen bestückt, philosophische Betrachtungen über den Tod, allerdings nicht im christlichen Sinne. Es mußten Auszüge aus den Lehren dieses Inders Ramis sein. Ich hätte lügen müssen, wenn sie mir gefallen hätten. Da wurde das Jenseits stets als die große Freiheit hingestellt, nach der sich die Menschen sehnen sollten.
Suko hatte den Schrank geöffnet. Kleidung quoll ihm entgegen, zumeist in dunklen Farben gehalten.
Ich schaute mir den kleinen Schreibtisch näher an. Er sah sehr aufgeräumt aus. Die Schreibtischunterlage lag exakt in der Mitte.
Automatisch hob ich sie an.
Darunter versteckt waren Papiere, sogar ein angefangener Brief, den ich mir vornahm.
Ein Abschiedsbrief an die Eltern, wahrscheinlich der erste Entwurf überhaupt.
»Hast du was gefunden?« fragte Suko.
»Nein, nichts von Bedeutung.«
»Ich auch nicht.«
Wir suchten trotzdem weiter. Sogar den Papierkorb durchschnüffelte ich. Prospekte rutschten mir entgegen. Zumeist Reklame von einem Reiseveranstalter.
Mir fiel auf, daß es sich um Reisen nach Indien handelte. Sollte das das große Ziel der Finsteren sein?
Ich zeigte Suko die Prospekte. »Ein Reiseveranstalter«, murmelte er. »Wer könnte dahinter stecken?«
»Keine Ahnung.«
»Was ist mit der Adresse?«
Ich drehte den Prospekt um. Sie war auf der Rückseite in kleiner Schrift angegeben. Wir erkannten, daß sich dieses Reisebüro in Zagreb befand.
Suko zwinkerte mir zu. »Ob wir es uns mal anschauen?«
»Immer.« Ich steckte den Prospekt ein und ging wieder nach unten. Im Schlafzimmer fanden wir Michael Mitic. Er hatte sich auf das Bett gesetzt und strich mit der Handfläche über das wächserne Gesicht seiner toten Frau. Dabei sprach er mit ihr, ohne die Chance zu haben, eine Antwort zu bekommen.
Er hatte uns nicht bemerkt. Erst als ich ihn an der Schulter berührte, schrak er
Weitere Kostenlose Bücher