054 - Das Geheimnis der Mumie
Arbeitern einige Befehle zu, die schließlich zögernd die Hütte verließen, dabei aber scheue Blicke dem unbekannten Mann zuwarfen.
Coco schloss die Tür.
»Was ist geschehen?«, fragte sie.
»Ich wurde wach, als die Tür geöffnet wurde«, sagte Kassim. »Ich bin aus dem Bett gesprungen. Da haben mich zwei Männer gepackt. Einen konnte ich abschütteln. Ich griff nach meiner Pistole und schoss auf einen der Männer, verfehlte ihn aber. Da wurde mir die Pistole aus der Hand geschlagen, und die Männer hielten mich fest. Der dritte machte sich am Kasten zu schaffen. Den Rest wissen Sie ja.«
Coco studierte den Bewusstlosen. Er war so wie seine beiden Begleiter mit einem roten Umhang bekleidet, der sich verschoben hatte, ein schneeweißer Lendenschurz kam darunter zum Vorschein. Um den Hals trug der Mann eine Goldkette, an der ein Skarabäus hing. Der Mann atmete regelmäßig.
Coco kam langsam näher, bückte sich etwas und sah sich das Gesicht des Mannes genau an. Es war völlig haarlos. Die Brauen waren abrasiert, die Wimpern ausgezupft. Der Schädel war kahl.
»Wenn ich mich recht erinnere«, sagte Coco, »dann war es für die Priester im alten Ägypten Pflicht, alle Haare von ihrem Körper zu entfernen.«
»Stimmt«, sagte Kassim.
»Auf dem Umhang sind Hieroglyphen eingestickt«, stellte Coco fest.
Kassim kniete neben dem bewusstlosen Priester nieder.
»Das ist Nefer-Amuns Siegel«, sagte der Ägyptologe.
»Da haben wir einen guten Fang gemacht«, stellte Coco zufrieden fest. »Ein Anhänger des Nefer-Amun-Kults ist uns in die Hände gefallen.«
Der Mann schlug die Augen auf. Sie waren hellblau; eine ziemlich ungewöhnliche Augenfarbe für einen Ägypter. Er hob den Kopf, setzte sich schweigend auf und blickte sich langsam in der Hütte um. Dann stand er auf.
Coco blickte in seine Augen. Sie versuchte ihn zu hypnotisieren, doch der Mann hielt dem hypnotischen Blick stand; er ließ sich nicht hypnotisieren.
»Wir müssen ihn fesseln«, sagte Coco rasch.
Kassim packte den rechten Arm des Mannes, der ihn abschüttelte. Coco wollte Kassim zu Hilfe kommen, doch vor allem wollte sie die Flucht des Priesters verhindern. Sie sprang zur Tür, sperrte ab und steckte den Schlüssel ein.
Gamal Kassim bückte sich, hob die Pistole auf, entsicherte sie und richtete sie auf den Priester.
»Bleiben Sie ruhig stehen!«, befahl Kassim.
Doch der Priester hörte nicht auf ihn. Er trat zwei Schritte zur Seite.
»Stehen bleiben!«, schrie Kassim.
Die Waffe beeindruckte den Priester überhaupt nicht.
Coco versuchte nochmals, ihn zu hypnotisieren – wieder vergebens.
Der Priester dachte nicht an Flucht. Er wusste, was er zu tun hatte. Seine rechte Hand schoss vorwärts. Blitzschnell umspannte sie einen Brieföffner, der auf dem Schreibtisch lag.
Coco ahnte, was der Priester vorhatte, und wollte es verhindern.
»Schlagen Sie ihm den Brieföffner aus der Hand!«, schrie sie und rannte auf den Priester zu.
Doch sie kam zu spät. Der Priester schlug den Umhang zurück.
»Nefer-Amun«, flüsterte er, »nimm mein Ba in dich auf!«
Mit voller Kraft rammte er sich den Brieföffner ins Herz. Seine weit aufgerissenen Augen waren auf Coco gerichtet, die vor ihm stehen geblieben war. Sie presste die Lippen zusammen.
Der Priester blieb einige Sekunden stehen, dann fiel der Arm herunter. Nicht ein Tropfen Blut drang aus der Wunde. Der Priester schloss die Augen und fiel um.
»Er hat Selbstmord begangen«, sagte Kassim überrascht. »Mit allem hatte ich gerechnet, aber damit nicht.«
Coco schwieg. Sie machte sich Vorwürfe, dass sie den Tod des Priesters nicht hatte verhindern können. Ihr Blick glitt zum Schrank. Die drei Männer waren ausgeschickt worden, um die Grabbeigaben Nefer-Amuns zu stehlen. Ihren Auftrag hatten sie nicht erfüllen können, doch Coco war ziemlich sicher, dass sie es wieder versuchen würden.
Susan Baxter glaubte, den Verstand zu verlieren. Wenn sie es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, hätte sie es nicht geglaubt. Hami Fonad war tot gewesen, da gab es keinen Zweifel, doch er war wieder lebendig geworden; und er verfolgte sie. Der Untote versperrte ihr den Weg zur Tür. Für sie blieb nur ein Fluchtweg: das Fenster.
So rasch sie konnte, rannte sie durch das Zimmer. Sie schwang sich auf das Fensterbrett, sprang ins Freie und blickte sich um. Der Untote folgte ihr weiter. Für einen Augenblick sah sie sein Gesicht im Mondlicht, die gebrochenen Augen und die fingergroße Öffnung in seiner
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