054 - Das Geheimnis der Mumie
gebracht. Niemand wusste, wo er sich befand; nicht einmal Dorian hatte sie den Aufenthaltsort gesagt. Sie bedauerte, dass sie sich nicht mehr um ihr Kind kümmern konnte, doch es war einfach nicht möglich; es wäre für ihren Sohn und für sie zu gefährlich gewesen.
Nach Olivaros freiwilligem Rücktritt als Führer der Schwarzen Familie waren sie von den Dämonen nicht mehr belästigt worden. Die Schwarze Familie war in unzählige Gruppen zerfallen. Sie konnten sich nicht auf einen Führer einigen. Coco wusste, dass die Ruhe trügerisch war. Im Augenblick zerfleischten sich die Dämonen gegenseitig, aber irgendwann würde sich der passende Führer finden. Coco war sicher, dass die Dämonen es niemals vergessen würden, welchen Schaden Dorian und sie ihnen zugefügt hatten; irgendwann würden sie Rache nehmen.
Coco stand auf, schlenderte zurück zum ägyptischen Museum und holte sich die Bewilligung ab. Mit einem Taxi fuhr sie zum Flughafen Heliopolis. Sie hatte keinerlei Schwierigkeiten, einen Flug mit der nächsten Maschine der United Arab Airlines nach Luxor zu buchen. Der Flug dauerte genau zehn Minuten.
Luxor und Karnak sind zwei Dörfer am Ostufer des Nils, die an der Stelle der früheren Hauptstadt Ägyptens – Theben – stehen. Zu Luxor rechnet man aber auch die Gräber und Tempel der Totenstadt Theben-West auf dem gegenüberliegenden Ufer. Dazu gehören auch die Tempel von Deir-el-Bahari.
Coco ließ sich direkt zur Bootsanlegestelle in Luxor bringen. Sie hatte nur wenig Gepäck mitgenommen, da sie nicht damit rechnete, längere Zeit in Ägypten zu bleiben. Mit der Fähre überquerte sie den Nil. Die Luft schimmerte über dem braunen Wasser. Sie rauchte eine Zigarette und blickte zu den drei Berggipfeln, den drei ewigen Wächtern Thebens.
Coco fiel ein Wort Homers ein, der Theben folgendermaßen geschildert hatte: Theben, Ägyptos Stadt, wo reich sind die Häuser an Schätzen; hundert hat sie Tore, es ziehen aus jedem zweihundert rüstige Männer zum Streit mit Rossen daher und Geschirren.
Davon war nichts mehr übrig geblieben. Hier am linken Ufer, in der öden Landschaft, die im Westen durch Gebirge und Steinbrüche begrenzt wurde, hatten die alten Ägypter die Nekropole errichtet, die Stadt der Toten. In den unzähligen Gräbern lagen nicht nur die Könige, sondern auch die Priester und hohen Beamten. In den zahlreichen kleinen Nebentälern befanden sich die Massengrüfte des gemeinen Volkes und der Soldaten.
Coco warf die Zigarette in den Nil, stand auf und stieg aus dem Boot.
Kamel- und Eseltreiber warteten auf Kundschaft. Auch einige klapprige Taxis waren zu sehen. Coco entschied sich für ein Taxi und handelte mit dem Fahrer den Preis aus. Sie fuhren an Neu-Kurna vorbei und kamen nur langsam vorwärts. Die Straße war von zurückkommenden Touristen auf Eseln und Kamelen verstopft. Nach Neu-Kurna konnte der Fahrer rascher fahren. Nach wenigen Minuten waren sie am Ziel. Der Fahrer bog nach links in die Dorfstraße ein. Er fuhr am Dorfbrunnen und am Totentempel von Sethos I. vorbei. Kurz vor Deir-el-Bahari bog er in einen holperigen Feldweg ein. Und dann lag das Camp vor ihnen. Einige einfache Hütten und Zelte. Mehr als fünfzig Fellachen waren mit den Ausgrabungsarbeiten beschäftigt.
Coco zahlte und stieg aus dem Taxi. Sie stellte ihren Koffer ab und sah einem Mann entgegen, der langsam auf sie zukam. Er trug Halbstiefel, Reithosen und ein blaues Baumwollhemd, dessen Ärmel er aufgerollt hatte. Auf dem schmalen Kopf trug er einen Turban. Sein Gesicht war hager; die große Nase wirkte wie ein Geierschnabel.
Das Taxi fuhr los. Der Mann sah ihm mit zusammengekniffenen Augen nach, dann wandte er sich Coco zu.
»Wer sind Sie?«, fragte er. Sein Englisch war ausgezeichnet.
»Coco Zamis«, stellte sich die Gefährtin des Dämonenkillers vor und reichte ihm die Bewilligung, die sie von Dr. Fatima erhalten hatte.
Er studierte das Blatt Papier aufmerksam und gab es Coco zurück.
»Ich bin Gamal Kassim, Miss Coco«, sagte er. »Die Bewilligung, die Sie mir da gezeigt haben, ist recht ungewöhnlich. Dr. Fatima hat sich bis jetzt immer geweigert, Reportern …«
Er brach ab und musterte Coco ganz genau. »Kommen Sie mit! Viel Komfort können wir Ihnen nicht bieten. Ich werde Sie bei Susan Baxter einquartieren.«
Gamal Kassim schrie einem der Fellachen etwas zu, der langsam aus einer Grube kroch und Cocos Koffer aufnahm.
Kassim ging voraus, Coco folgte ihm. Das Innere der Hütte war spartanisch
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