054 - Die Gespenster-Dschunke von Shanghai
meint.«
»Genau
die meinen wir.«
»In
spätestens zwei Stunden wird der Sarg zum Flughafen transportiert. Ihr habt
verdammt wenig Zeit.«
»Wenn’s
um große Geschäfte geht, kann man die Knochen auch mal schneller bewegen, nicht
wahr?« antwortete die dumpfe Stimme am anderen Ende der Strippe. »Es geht
diesmal um eine Million, und das ist nur eine Teillieferung. Unser Kontaktmann
in London weiß schon Bescheid… Der Stoff in der Leiche dürfte ein sicherer
Aufbewahrungsort sein.«
»Beeil
dich.« Der Bestattungsunternehmer legte auf, machte sich einige Notizen in
einem schmalen, schwarzen Kalender, der auf seinem Schreibtisch lag, und schien
das Telefonat schon längst wieder vergessen zu haben. Er wußte Bescheid und
kümmerte sich um nichts. Dafür, daß er nichts tat, kassierte er hin und wieder
ein paar Dollars. Er hörte den Wagen auf den Hof fahren und hob nicht mal den
Kopf. Der Mann, der kam, interessierte ihn nicht. Der wußte von selbst
Bescheid. Der Ankömmling war von kräftiger Statur, trug Blue jeans und ein
beiges, vorn aufgeknöpftes Hemd, das seine behaarte Brust sehen ließ. Der Mann
war noch jung, kaum zwanzig. Er war nicht identisch mit dem Sprecher, der vor
wenigen Minuten angerufen und das Unternehmen angekündigt hatte. Der Ankömmling
durchquerte den Hof und ging durch eine Hintertür, die nicht verschlossen war.
Schmale Steinstufen führten in einen schummrigen Korridor, dessen Wände grob
gemauert und feucht waren. Der Kellerraum war groß. Alte Bahren und Särge
standen darin. Bei einigen waren die Deckel nicht geschlossen, und so war zu
sehen, daß die Behälter leer waren. Der Zinksarg mit Madleen Cordes stand
hinten an der Wand. Durch winzige, verstaubte Kellerfenster sickerte nur
schwach das Tageslicht und schuf eine zwielichtige Atmosphäre, in der das Kühle
und Gespenstische der Räume noch unterstrichen wurde. Der Mann steuerte direkt
auf den Zinksarg zu und schlug den Deckel zurück. In dem Raum war es so kühl,
daß der Atem des stummen Gastes zu sehen war. Im Sarg lag bleich und
ausgeblutet die Leiche Madleen Cordes. Sie trug ein einfaches Totengewand. In
einem grauen Jutesack am Fußende des Sarges lagen die Kleider, die die Tote bei
der Ermordung getragen hatte und die ebenfalls nach London zurückgeschickt
werden sollten. In einer braunen, knittrig aussehenden Aktentasche, die der
Besucher dieses ungastlichen Ortes mitgebracht hatte, befanden sich ein Messer
und mehrere kleine Plastikbeutel, das Messer war in ein rotes Tuch
eingeschlagen, in den Beuteln befand sich ein weißes Pulver. Heroin…
Der
Chinese, der mit Billigung des Bestattungsunternehmers hier weilte, brachte
seine Arbeit schnell zu Ende. Er öffnete noch mal die klaffende Wunde und
verbarg in der Leiche die mitgebrachten Beutel. Dann richtete er alles wieder
so her, wie er es angetroffen hatte und verließ schon nach wenigen Minuten die
Kellerräume mit den Särgen und Leichen. Gleich darauf sprang draußen im Hof der
Motor an, und der Wagen reihte sich in den fließenden Verkehr ein. Im
Leichenkeller des Bestattungsunternehmers Cheng wirkte alles unverändert. Doch
dies war nur der äußere Eindruck. Etwas, das sich zuvor nicht in Madleen Cordes
Leiche befand, lag nun darin: Die Beutel mit dem Heroin. In der Eile hatte der
Ausführer des Unternehmens nicht auf den Zustand der einzelnen Beutel geachtet,
die er in der Toten deponierte. Ein Beutel war leicht angeritzt, und das weiße
Pulver sickerte in den Magen, in dem sich eine hauchdünne Blutschicht und
Gewebsflüssigkeit befanden. Sie kamen mit dem Pulver in Berührung. Das Pulver
nahm dabei Substanzen auf, die nicht körpereigen waren, sondern die durch die
Schulterverletzung und damit durch die Berührung mit dem nächtlichen Feind in
Madleen Cordes Blutbahn gerieten. Sie sickerten in das Heroin ein, wurden Teil
von ihm, und damit nahm wieder mal ein unaufhaltsamer Vorgang seinen Lauf, der
schwerwiegende Folgen nach sich zog. Aber dies alles war äußerlich nicht
erkennbar. So konnten es auch die Männer nicht ahnen, die rund zwei Stunden
später die Leiche zum Flugplatz brachten, wo sie in einer Maschine Platz fand,
die für den Flug nach London aufgetankt wurde. An Bord des Flugzeuges befand
sich eine Zeitbombe besonderer Art…
●
»Ich
würde gern mitkommen«, sagte die junge Chinesin, die eine Blüte im schwarzen,
seidig schimmernden Haar stecken hatte zu ihrer Freundin. »Und warum tust du’s
nicht?« wollte Lia Kwang wissen.
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