054 - Gabe und Fluch
Perkins suchte sich derweil einen erhöhten Punkt, um den Blick über die karge Landschaft schweifen zu lassen. Künstlich bewässerte Reis- und Gemüsekulturen waren der einzige Hinweis auf menschliches Leben. Häuser, Schuppen oder gar Bauern suchte man vergeblich.
Die Einstiegsschächte in die SubCity ließen sich mit dem primitiven Fernglas des Amerikaners nicht ausmachen. Sie lagen gut verborgen in den überwucherten Fundamenten der ehemaligen Oberflächenstadt. Selbst die ausgesandten Suchtrupps würden Schwierigkeiten haben, die Zugänge aufzuspüren.
Perkins kehrte mit verkniffener Miene zu Fudoh zurück. Während die Leibgarde einen weiten Kreis um sie bildete, baute er sich drohend vor dem jugendlichen Japaner auf. »Wo ist eure unterirdische Siedlung und wie gelangen wir dort hinein?«, wollte er wissen.
Fudoh hatte diese Frage bereits erwartet und war fest entschlossen, sie nicht zu beantworten. Trotzig schüttelte er den Kopf.
Unter der Kunststoffhaube des Captains zeichnete sich ein bedauernder Zug ab. »Rede lieber, kleiner Samurai. Eure Fischer waren zuerst auch verstockt, und dann habe ich doch von der Siedlung erfahren. Es ist besser, wenn sich dein Volk unserem Willen beugt. Wir sind sowieso überlegen.«
Fudoh unterdrückte ein verächtliches Schnauben. Bildete sich dieser arrogante Ami ernsthaft ein, dass ihm die Kanonen und selbst geschmiedeten Vorderlader Respekt abringen könnten? Die gekaperten Fischerboote mussten ihm ein falsches Bild von der hiesigen Zivilisation vermittelt haben, denn die SubCitys sparten an Ressourcen, wo sie nur konnten. Die Segler kamen ohne jede Technik aus und außer ein paar scharfen Messern gab es auch keinerlei Waffen an Bord.
Wozu auch? Bisher hatten sich nie Piraten in japanische Gewässer verirrt.
»Mach besser den Mund auf«, drohte Perkins, »oder du wirst es bereuen.«
Fudoh ließ sich davon nicht einschüchtern. Was sollte schon passieren? Das Shögunat der Stadt war langst alarmiert. Früher oder später würde man einen Gegenschlag führen und ihn befreien.
»Sagt Ihnen der Name Pearl Harbor etwas?«, gab er sich kaltschnäuzig. »Genau das gleiche Desaster werden Sie mit Ihrer verlausten Sklaventruppe erleiden!«
Die Worte trafen den Amerikaner an einem wunden Punkt. Wutentbrannt holte er mit der Hand aus, besann sich nach kurzem Zögern aber eines Besseren. Die Drecksarbeit überließ er lieber den Mongolen. Vermutlich, weil er eine Beschädigung seines Anzugs befürchtete.
Auf sein Zeichen wurden Fudoh die Arme auf den Rücken gebunden. Sobald der Junge hilflos vor Kuga stand, prasselten Ohrfeigen auf ihn nieder. Sein Kopf flog hin und her, bis ihm schwindlig war, trotzdem drang kein Laut über seine zersprungenen Lippen.
Der Folterknecht legte erst eine Pause ein, als ihm die Hand weh tat.
Perkins verfolgte die Prozedur mit dem leidenschaftslosen Interesse eines Verhörspezialisten. »Sieh an«, drang es aus dem Außenlautsprecher, »ein ganz hartes Bürschchen. So ein gewiefter Kerl wie du kennt sicher auch die geheimen Wege, die einem lästige Kontrollen ersparen, oder? Ich habe da etwas von einem stillgelegten Luftschacht gehört…«
Fudohs Augen weiteten sich vor Überraschung. Es war nur eine kurze, instinktive Reaktion, aber der geschulte Perkins las darin wie in einem Buch.
»Ich sagte doch, dass die Fischer am Ende sehr gesprächig waren«, höhnte er. »Leider hat keiner von ihnen lange genug überlebt, um uns vor Ort den Weg zu weisen. Aber dafür haben wir ja dich eingefangen. Du wirst uns zu dem bewussten Schacht führen, verstanden?«
Panik wallte in Fudoh auf. Er dachte an seine Eltern und Freunde, die sich unter der Erde in Sicherheit wähnten. Und vor allem an Keiko, der kein Leid zugefügt werden durfte. Nein, er würde nicht reden, auf gar keinen Fall!
»Niemals«, bekräftigte er.
»Ja ja«, winkte Perkins ab. »Das sagen sie am Anfang alle. Und hinterher muss man ihnen die Kehle durchschneiden, damit sie endlich still sind. Los, anfangen!«
Ein Tritt in die Kniekehlen ließ Fudoh einknicken. Noch ehe er den Boden erreichte, packte ihn ein Mongole an den Haaren. Gleißender Schmerz explodierte unter seiner Schädeldecke, als ihm der Kopf in den Nacken gerissen wurde. Er versuchte sich gegen die grobe Behandlung zu wehren, doch die Männer verstanden ihr brutales Handwerk. Sie packten Fudoh so fest, dass ihm kein Bewegungsspielraum mehr blieb. Seiner Freiheit derart beraubt, konnte er nur abwarten, was weiter
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