0545 - Der teuflische Engel
kam sich vor wie auf einer Insel, wo sie allein mit diesem Fremden war.
Dessen rechter Zeigefinger wies schräg in die Tiefe. Die Nagelspitze zielte auf die Rosen. »Die sehen gut aus, finde ich.«
»Ja, da haben Sie recht. Haben Sie sich eine bestimmte Anzahl vorgestellt, wenn ich fragen darf?«
Er hob die Augenbrauen und runzelte gleichzeitig die glatte Stirn.
»Wenn ich das wüßte«, murmelte er. »Der Strauß soll jedenfalls auffallen.«
»Dann würde ich eine zweistellige Anzahl vorschlagen.«
»Über zehn, nicht?«
Wendy ging auf den jungen Mann zu. Sie blieb neben ihm stehen, nicht so dicht, daß sie sich berührten, aber nah genug, um etwas von seiner Aura zu spüren.
Sie unterschied sich tatsächlich von der anderer Menschen. Wendy hatte das Gefühl, ihre Haare würden sich hochstellen. Vom Nacken bis zu den Hacken rann ein Schauer, den sie nicht einmal als unangenehm empfand. Wenn der Kunde jetzt damit angefangen hätte, sie auszuziehen, sie hätte sich nicht einmal gewehrt.
Er hatte sich entschieden. »Fünfundzwanzig Rosen«, sagte er leise.
»Ich nehme fünfundzwanzig.«
»Sehr wohl, Sir. Das ist eine gute Wahl. Die Dame Ihres Herzens ist zu beneiden.«
Er räusperte sich leise. »Diese Blumen sind nicht für eine Dame bestimmt«, erklärte er.
»Oh, pardon.« Wendy bekam einen roten Kopf. Sie dachte sofort daran, daß dieser junge Mann mehr den Männern zugetan war, als den Frauen. Das gab es aus ihrer Sicht leider oft, daß wirklich interessante Männer für Frauen nichts übrighatten.
»Ich zähle Ihnen die Blumen eben ab, Sir. Wenn Sie einen Schritt zur Seite treten würden…«
»Gern.« Er glitt nach rechts, blieb stehen und hatte die Beine dicht zusammengestellt. Seine Arme hingen vor dem Körper nach unten.
Wendy konnte trotz der gebückten Haltung seine langen Finger erkennen. Sie lagen mit den Spitzen aufeinander. Auch bei ihnen wies die Haut einen leicht blaugrauen Schimmer auf.
Die Verkäuferin war so nervös, daß sie sich verzählte und noch einmal von vorn beginnen mußte.
Draußen vor dem Laden hielten mehrere Jugendliche ihre Motorräder an und bockten sie rücksichtslos auf dem Gehsteig hoch. Sie blieben aber draußen. Der Kunde warf ihnen nur einen knappen Blick zu, doch für den Bruchteil einer Sekunde blitzte es in seinen tiefblauen Pupillen auf. So etwas wie ein Alarmzeichen.
Wendy zählte zum zweitenmal, war zufrieden und ging an die kleine Steintheke, wo sie die Blumen zusammenband und auch etwas Grün dazwischen steckte.
»Halten sich die Rosen auch?« fragte der Kunde.
»Ja, natürlich.«
Er nickte. »Mir ist soeben eine andere Idee gekommen. Könnten Sie den Strauß morgen bei dem Empfänger vorbeibringen lassen?«
»Das geht.«
»Dann seien Sie bitte so gut.«
»Natürlich, Sir, ich stelle sie bis dahin wieder ins Wasser.«
»Ja, das wäre nett. Was habe ich zu zahlen?«
Wendy rechnete kurz nach und kam auf eine Summe von knapp über sechs Pfund.
»Das ist schon gut, Miß.« Der Kunde griff in die Tasche und holte Geld hervor. Das jedenfalls dachte Wendy, doch es war kein Geldstück und auch kein Schein, den er auf den steinernen Tresen legte, sondern Gold.
Die Verkäuferin erschrak und wurde blaß. »Was… was ist das?« hauchte sie.
»Gold, wie Sie sehen.«
»Echt? Ist das echt?«
Der Kunde schaute sie nur an. Plötzlich konnte sie den Blick seiner blauen Augen nicht mehr ertragen. Sie senkte den Kopf und hob bedauernd die Schultern. »Natürlich ist das echtes Gold, Sir. Ich möchte mich entschuldigen.«
»Schon gut.«
»Aber ich kann nicht wechseln. Was soll ich…?«
»Sie dürfen die Münze behalten.«
»Dan… danke.«
»Gern geschehen.« Er griff nach einem Blatt Papier und legte es auf den Tresen. Dann schrieb er die Adresse auf den Zettel, wo die Blumen abgeliefert werden sollten.
Nur benutzte er dafür weder einen Kugelschreiber noch einen Bleistift. Jedenfalls hatte Wendy nichts dergleichen gesehen. Aber auf dem Zettel stand die Adresse, sogar in einer farbigen Schrift, die zwischen Gold und Silber changierte.
Sie buchstabierte und las dabei den Adressaten laut vor. »Scotland Yard, Oberinspektor John Sinclair. Der erste Gruß von einem Freund.« Wendy schluckte. Eines Kommentars enthielt sie sich.
Wenn sie mit jedem Empfänger gerechnet hätte, damit nicht. Sie war eher davon ausgegangen, daß jemand aus der Filmbranche die Blumen bekommen hätte. Wer so gut aussah wie dieser Jüngling, mußte einfach Schauspieler
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