0545 - Der teuflische Engel
in einen Beruf zu gehen. Sie war Verkäuferin gewesen, und die Hektik, die sie manchmal bei Harrod’s erlebt hatte, würde sie nicht mehr mitmachen.
Ein Schatten fiel über sie. Kyra hatte soeben den letzten Bissen hinuntergeschluckt, schaute hoch – und hatte das Gefühl, jemand würde sie wegtragen.
Die Person, die sich neben ihrem Tisch aufgebaut hatte, war ein Traum. Es gibt gut aussehende Menschen, auch häßliche – natürlich nur subjektiv gesehen –, aber diejenige Person, die neben ihrem Tisch stand, war nicht nur gut aussehend, sie war einfach schön.
Ein schöner Mensch, ein Traummann. So etwas gab es nicht einmal im Film, das mußte eine Halluzination sein. Deshalb zwinkerte sie auch einige Male mit den Augen und glaubte, das Bild verscheuchen zu können.
Es blieb.
Der Mann stand tatsächlich neben ihr. In der Kleidung paßte er auch. Er war ganz in Weiß gekleidet, Leinen, wie sie mit Kennerblick feststellte. Der Unbekannte hielt den Kopf ein wenig gesenkt, so daß Kyra, wenn sie hochschaute, in seine Augen sehen konnte.
Welche Augen!
Blau, intensiv. Von einer herrlichen Farbe. Das war eine Laune der Natur. Passend dazu war auch die Gesichtsfarbe des Mannes. Nicht sonnenbraun oder bleich, nein, auch sie zeigte einen leichten Blauton.
Das Gesicht schien von einem Bildhauer modelliert zu sein. Sehr fein geschnitten, mit leicht hochstehenden Wangenknochen, einer hohen Stirn und einem Mund, der von weich geschwungenen Lippen gebildet wurde. Er hätte auch einer Frau gehören können.
Das Haar besaß einen blonden Grundton, durch die Farbe des Gesichts aber auch einen leicht bläulichen Schimmer.
Bei ihm stimmte einfach alles. Selbst die Hände mit den langen Fingern, die übereinander lagen.
Kyra Benson kam sich vor, als hätte sie den Mann neben ihrem Tisch über Stunden angeschaut. Dabei waren nur Sekunden vergangen. Als er die Lippen zu einem Lächeln verzog, da glaubte sie, in ihm einen Engel zu sehen. In ihre Augen legte sich ebenfalls ein Strahlen.
Der Unbekannte junge Mann sprach sie an. »Ist es gestattet, Madam?«
»Aber gern.« Sie kannte ihre Stimme kaum wieder, so heiser war sie plötzlich geworden. Als der junge Mann seinen Platz einnahm, rann ein Schauer über ihre Arme. Hastig verschränkte sie die Arme vor der Brust, weil der Besucher dies nicht sehen sollte.
Der Kellner kam. Er schaute mit etwas hochgezogenen Augenbrauen auf den neuen Gast. »Was kann ich Ihnen bringen?«
»Einen Saft, bitte.«
»Welchen?«
»Tomate.«
»Sehr wohl, Sir.«
Der Kellner verschwand und ließ die beiden allein zurück. Der junge Mann saß rechts von Kyra, gleichzeitig fast gegenüber, so daß sie sich anschauen konnten.
Beide lächelten. Kyra senkte den Kopf. So etwas war ihr noch nie passiert. Sie kam sich vor wie ein Teenager, der zum erstenmal die Liebe erlebte.
Als sie den neuen Gast wieder anschaute, lächelte dieser noch immer. Ein scheuer Blick gegen seine Augen, und Kyra fühlte das Prickeln auf ihrer Haut.
Das waren keine normalen Augen. Sie suchte nach einem Vergleich und hatte ihn gefunden, so fremd er ihr auch vorkam.
Sterne! Augen wie Sterne. Nicht hell, eher dunkel und auch leicht schimmernd.
Sie atmete tief aus und konzentrierte sich wieder auf ihren Kaffee.
Er war kalt geworden, das machte nichts. Die Gesellschaft des jungen Mannes mit dem engelhaften, fast perfekten Aussehen machte alles wett. Da fühlte sich Kyra zwar nicht wie im siebenten Himmel, aber sie war auch nicht weit entfernt davon.
Der Kellner brachte den Saft. »Bitte sehr, Sir, frisch gepreßt. Er wird Ihnen schmecken.«
»Das denke ich auch.«
»Bringen Sie mir ein Mineralwasser«, rief Kyra, bevor der Mann enteilen konnte.
»Sehr gern.«
»Das ist auch gut bei diesem Wetter, Mrs. Benson«, sagte der Schönling und nippte an seinem Saft.
Kyra schrak zusammen. Sie wurde nicht bleich, aber sie geriet ins Staunen. Wie hatte der junge Mann sie angeredet? Mit ihrem Namen? Natürlich, verhört hatte sie sich nicht. Aber woher kannte er den Namen?
Sie begann zu zittern. Ihre Finger flatterten. »Sagen Sie, woher kennen Sie mich?«
»Das ist eine etwas längere Geschichte, die eigentlich nicht so viel mit Ihnen zu tun hat.«
»Sondern?«
Er legte seine Hände zusammen und senkte den Blick. »Mehr mit Ihrem Mann, Mrs. Benson.«
»Dann kannten Sie ihn.«
»So ist es.«
Sie holte durch die Nase Luft. »Wissen Sie auch, Mister, daß mein Gatte nicht mehr lebt?«
»Das weiß ich sehr gut.«
»Okay, er
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