0545 - Der teuflische Engel
Münze hervor und hielt sie gegen das einfallende Sonnenlicht. »Sie ist unsere einzige Spur, Suko. Zwei Abbildungen. Auf jeder Seite eine. Einmal das Gesicht eines Mannes, dieses Schönlings, und zum anderen das einer Frau, die uns noch unbekannt ist. Oder hast du eine Idee?«
»Bin ich Myxin?«
»Leider nicht.«
Suko hob die Schultern und räusperte sich. »Ich wäre dafür, daß wir Kyra Benson die Münze mal unter die Augen halten. Möglicherweise kann sie uns weiterhelfen.«
»Das wäre nicht schlecht.« Ich versuchte es noch einmal, aber auch jetzt meldete sie sich nicht.
Suko hob die Schultern. »Was willst du machen, John? Bei diesem Wetter ist kaum jemand zu Hause. Selbst eine trauernde Witwe nicht.«
Ich mußte grinsen. »Von Trauer habe ich nicht sehr viel bemerkt. Die hat es ganz schön in sich.«
Suko drohte mir mit dem Zeigefinger. »Gib nur acht, daß sie dich nicht auch einfängt, Alter.«
»Das walte Hugo.«
»Oder Glenda.«
»Auch die.« Ich stand auf und schaute auf die Uhr. »So, hier stinkt es mir. Ich fahre nach Hause. Kommst du mit?«
»Nein, ich habe noch etwas vor. Ich fahre zu einem Autohändler und schaue mir den Wagen noch einmal genau an.«
»Tu, was du nicht lassen kannst«, erwiderte ich und verließ kopfschüttelnd das Büro…
***
Glarion hatte seine Hände wieder sinken lassen, so daß Kyra Benson direkt in sein Gesicht mit der leicht bläulich schimmernden Haut schauen konnte.
Ja, es war sein Gesicht – oder war es das nicht?
Noch nie hatte sie ähnliche Züge gesehen. Auf den Wangen und in seinen Augen hatte sich etwas verändert. In den Pupillen glaubte Kyra, das Strahlen der Sterne zu sehen, die in einer fernen Galaxis ihren Platz gefunden hatten.
Ein leichter, sehr sanfter Schleier glitt über die Haut, wobei er sich an bestimmten Stellen konzentrierte und dort länger verweilte.
Dann entstanden kleine Funken, die wie das Blitzen ferner Sterne über das Gesicht wehten.
Das war der erste Eindruck. Ein zweiter kam aber noch hinzu.
Kyra Benson hatte das Gefühl, als würde sich etwas über ihr Gesicht hinwegschieben, das aus dem Nichts gekommen war, sich auch nicht direkt materialisierte, sondern als fester Schleier wirkte, der das erste, schöne Jünglingsgesicht völlig überdeckte, damit ein zweites Gesicht entstehen konnte.
Und es entstand auch…
Kyra Benson kam sich vor, als würde sie auf einer Insel hocken.
Nur sie und der andere zählten. Die übrigen Gäste schienen weggeschoben zu werden. Die Frau hatte nur Augen für den Mann, der ihr direkt gegenüber saß.
War es noch ein Mann?
Nein, das zweite Gesicht oder das, was aus dem ersten entstanden war, mußte einfach einer Frau gehören. Die Züge waren noch weicher und glatter, sie wirkten einfach fraulicher, auch wenn sie mit Glarions Ähnlichkeit besaßen.
Frau und Mann – ein Zwitterwesen!
Kyra verstand, ohne das Phänomen jedoch richtig zu begreifen. Sie spürte, daß sich auf ihrem Rücken der Schauer festgesetzt hatte wie eine dünne Eisschicht, und sie wußte auch, daß sie dicht vor einer großen Offenbarung stand.
Etwas, das sie mit dem Verstand nicht erklären konnte, war wieder einmal in ihr Leben getreten, und es tat ihr nicht einmal leid, denn auch von dem zweiten Gesicht, das sich über das erste geschoben hatte, ging eine unwahrscheinliche Faszination aus.
Mann oder Frau?
Nein, beides!
Glarion lächelte. Oder war es die Frau, die ihre weichen Lippen in die Breite zog?
Kyra wußte nichts mehr. Sie wartete sehnsüchtig auf eine Erklärung. Sie schrak nur einmal zusammen, als sie den ziehenden Schmerz spürte, den ihre Fingernägel im Fleisch der Handballen hinterlassen hatten, als sie die Hände zu sehr zusammendrückte.
Dies und die Stimme brachten sie wieder zurück in die Realität.
»Nun, Kyra? Kennst du mich?«
Sie sagte nichts, drückte sich zurück und ließ die Worte auf sich wirken. Dabei schaute sie auch weiterhin gegen den Kopf, auf dessen Wangen es ebenso blitzte wie in seinem langen Haar.
Jawohl, das Haar war lang geworden. Lang wie bei einer Frau. Mit anderen Worten: Die Person, die vor ihr saß, war kein Mann mehr, auch kein Engel, sie war zu einer Frau geworden, denn sie hatte auch mit einer weiblichen Stimme gesprochen.
»Wer bist du?« hauchte Kyra, wobei sie sich darüber wunderte, daß sie die Frage hatte stellen können.
Vor ihrer Antwort lächelte die andere Person. »Ich bin Merete, die Architektin aus Atlantis…«
***
Kyra Benson saß
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