0545 - Der teuflische Engel
ich auch vor. Deshalb wickelte ich die Blumen aus.
Der Strauß duftete wirklich außergewöhnlich stark. Nicht nur die unmittelbare Umgebung wurde davon erfüllt, das gesamte Büro roch nach dem Rosenduft.
Das bemerkte auch Glenda, als sie zurückkehrte und sich aus großen Augen umschaute. »Oh, du hast den Strauß bereits ausgepackt, John?«
»Ja, mußte ich doch.«
»Willst du ihn behalten oder weiterverschenken?«
Ich lachte. »Möchtest du ihn denn haben?«
»Nein, danke, darauf kann ich verzichten. Es sind mir zu viele Rosen. Weniger ist oft mehr, wie du weißt.«
»Das stimmt.«
Ich besah mir den Strauß von oben. Der Duft schien mir entgegenzusteigen. Ohne es eigentlich zu wollen, senkte ich mein Gesicht den roten Blütenkelchen entgegen und spürte die Berührung der weichen Kelchblätter wie Samt an meinen Lippen und der Haut.
Es war wie ein Rausch. Ich schloß die Augen nicht, sondern preßte mein Gesicht hinein.
Wie aus weiter Ferne hörte ich die Stimmen von Glenda und Suko.
Ich behielt die Augen offen, wollte alles genießen, was von diesen Rosen ausströmte.
Es war herrlich. Dieser nie erlebte Duft trug mich fort in eine andere Welt.
Plötzlich erschienen vor meinem geistigen Auge Bilder. Ich sah hinein in eine weite, wenn auch bunte Landschaft, und ich sah plötzlich ein Gesicht.
Ein Engel, ein Mensch, ein Dämon – Mann oder Frau? Das Gesicht war glatt, unbestimmt. Es hätte alles sein können. Mir fiel der Begriff geschlechtslos ein.
Ja, das war eine Person, die so auf mich wirkte. Regelrecht geschlechtslos.
Die Umgebung war für mich versunken. Zwar nicht in einem Meer von Rosen, aber die Blumen hatten dafür gesorgt, daß ich die Realität verdrängte und mich allein auf das tatsächlich blau schimmernde Gesicht konzentrierte, das nur für mich sichtbar war.
Augen, die mich an tiefe Gletscherseen erinnerten, fixierten mich.
Für mich wurde der Anblick dieser Gestalt tatsächlich zu einem Erlebnis, über das ich kaum wegkam. Der Duft der Blumen schien aus einer anderen Welt zu stammen, er hielt mich umfangen.
Ich ging tatsächlich davon aus, daß sich mein Blick in einer anderen Dimension verlor, hervorgerufen durch die Kraft der mir geschenkten Rosen. Das Gesicht blieb nicht nur, es kam auch näher, wobei ich den Eindruck hatte, daß es immer mehr wuchs.
Auch der Ausdruck in den Augen verändert sich. Die Kälte blieb zwar, nur kam noch etwas anderes hinzu. Ein gewisses Versprechen, das ich mit einem anderen Begriff umschreiben konnte.
Dem Tod!
Diese Augen strahlten eine shimada- oder belphegorartige Gnadenlosigkeit aus, die schon an Luzifer erinnerte, der nun das absolut Böse repräsentierte.
Ich sah diesen Menschen oder was immer er auch sein mochte, nicht nur, ich hörte ihn sogar reden. Seine Stimme hallte nicht in den Ohren wider, ich vernahm sie in meinem Hirn, und sie kam mir vor, als wäre sie über Lichtjahre hinweg gereift.
»Du wirst es mit mir zu tun bekommen, Sinclair. Du hast mich herausgefordert. Du hast an gewissen Grundfesten gerüttelt, das wird dich das Leben kosten. Blumen sind etwas Wunderbares, sie können aber auch in gewissen Situationen tödlich sein…«
Eigentlich hätte mich der zweite Teil warnen müssen, ich aber hielt weiterhin den Kopf gesenkt und mein Gesicht in den Blüten vergraben. Mir kam der Duft vor wie ein Nebel, der mein gesamtes Gehirn umflorte. Er lullte mich ein, er war einfach vorhanden, er machte mich wehrlos.
Noch einmal schickte mir der Schönling eine Botschaft. »Den Tod, du wirst den Tod erleben, das verspreche ich dir. Die Grenzen hast du überschritten…«
Dann packten mich plötzlich zwei Hände und rissen mich hart zurück. Suko war die Sache zuviel geworden. Der Strauß rutschte mir aus der Hand. Ich kippte nach hinten und wäre fast noch vom Stuhl gefallen. »Bist du denn verrückt?« fuhr er mich an. »Was hast du da getan, John?«
Ich hörte ihn, aber ich sah ihn nicht. Seine Stimme schien aus einem Nebel zu dringen, der zwischen mir und meinem Freund so dicht wie eine Wand stand.
Allmählich kam ich wieder zu mir. Langsam schälte sich die Umgebung des Büros hervor. Ich sah die Wände und auch das besorgte Gesicht der Glenda Perkins. Sie stand vor mir und hatte sich zu mir herabgebeugt. Mit einem Tuch wischte sie mir Blütenstaub aus dem Gesicht und schüttelte dann den Kopf.
»Was hast du gehabt, John? Was war mit dir? Du hast dein Gesicht in den Strauß versenkt.«
»Ja, ich weiß.«
»Und
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